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Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik

Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik

Titel: Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik
Autoren: José Carreras
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seine Mutter Antònia Coll in einem Gespräch gesagt hatte, das er als Achtzehnjähriger im Oktober 1965 in der elterlichen Wohnung mit ihr geführt hatte – wenige Tage vor ihrem Tod: »Kämpfe für das, woran du glaubst. Du bist zum Singen geboren. Aber nimm dir keine Opern vor, die zu anspruchsvoll für dich sind.« Von Anfang an war sie fest davon überzeugt gewesen, dass er eines Tages ein von allen bewunderter Tenor sein werde, hatte immer an ihn geglaubt und
in ihrem Friseursalon bis spät in den Abend gearbeitet, damit er bei guten Lehrern Unterricht nehmen konnte. Noch in der Stunde, in der sie von der Welt Abschied nahm, schien ihr nichts mehr am Herzen zu liegen als die Karriere ihres jüngsten Sohnes José – die beiden älteren waren bereits verheiratet, und ihr Leben verlief in festen Bahnen.

    Als ich zum ersten Mal im Liceu auftrat, dachte ich an die Worte meiner Mutter, an die großen Opfer, die sie gebracht hatte, damit ich diesen Augenblick erleben konnte, und wie stolz sie wäre. Auch als ich nach dem Debüt an der Scala in mein Zimmer im Hotel Marino zurückkehrte, erinnerte ich mich voll Rührung an ihren Rat. Dieser Augenblick ist mir jedes Mal ins Gedächtnis gekommen, wenn ich auf meinem Weg eine neue Herausforderung bewältigt hatte, so als stehe sie hinter mir und ermuntere mich von wer weiß woher.

2.
Der Mann, der sich in einem Rolls-Royce nicht wohlfühlte
    N achdem José Carreras 1993 im Palast von Hampton Court südlich von London einige Konzerte gegeben hatte, schenkte ihm einer der Sponsoren der Veranstaltungsreihe einen offenen blauen Rolls-Royce Corniche. Als Carreras seine Kinder Albert und Júlia mit diesem Luxuscabrio von zu Hause abholen wollte, war sein Sohn von dem ausgefallenen Wagen, der da vor dem Haus stand, völlig verwirrt. »Steigt ein, dann könnt ihr sehen, wie das ›Vögelchen‹ (die geflügelte Kühlerfigur) verschwindet, wenn ich auf einen Knopf drücke.« »Papa, das ist nichts für uns. Ich geniere mich, in so ein Auto zu steigen«, teilte ihm der Junge mit. Carreras lachte bei diesen Worten seines Erstgeborenen und sah ihn zugleich verständnisvoll an. »Hast recht, es ist zu protzig. Wir werden es umtauschen. « Er ließ den Wagen stehen und ging mit den Kindern zu Fuß weiter. Schon wenige Tage später verschwand das Auto aus dem Leben der Familie; es wurde verkauft, ohne mehr als rund hundert Kilometer gefahren zu sein.
    Nichts könnte das Wesen von José Carreras anschaulicher beschreiben als diese Anekdote. Zwar ist er stolz auf sich und den privilegierten Platz, den er dank seiner herausragenden Stimme und seiner persönlichen Anstrengung und Beharrlichkeit erreicht hat, aber überflüssiger Luxus, entbehrliche Nichtigkeiten und flüchtige Freundschaften lassen ihn kalt. In dem Arbeiterviertel, in dem er aufgewachsen ist, wurde ein Mensch nach seinem Charakter und Verhalten beurteilt, Äußerlichkeiten spielten dabei keine Rolle. Das hat er nie vergessen. Nach wie vor kann man ihn in der Straße sehen, in der er geboren wurde, da er dort einmal im Monat mit seinen Freunden aus der Kinderzeit in einem bescheidenen Lokal zusammenkommt, um sich an seine Anfänge zu erinnern und jene Welt
nicht aus den Augen zu verlieren. Er hat viel Geld verdient, aber nie vergessen, wo er herkommt, um seine Identität nicht zu verlieren.
    Bei einer anderen Gelegenheit wartete er in Paris auf den Wagen, der ihn am Hotel abholen und zu einer Schallplattenaufnahme in ein bekanntes Studio bringen sollte. Als man ihm mitteilte, der Fahrer habe angerufen, er werde später kommen, weil er im Stau stecke, bat Carreras’ Mitarbeiter den Portier, ein Taxi zu rufen. Schon wenige Minuten später stand eines vor der Tür, doch als man dem Fahrer sagte, dass er zu jener verkehrsreichen Stunde quer durch die ganze Stadt würde fahren müssen, versuchte er sich dem Auftrag mit Ausreden zu entziehen und empfahl den beiden, lieber einen Bus und die U-Bahn zu nehmen, weil sie dann nicht nur früher ans Ziel kämen, sondern es außerdem weniger kosten werde. Daraufhin empörte sich Carreras’ Mitarbeiter und teilte dem Taxifahrer mit: »Hören Sie, wenn wir wollten, könnten wir Ihnen Ihr Taxi abkaufen, also fahren Sie uns bitte, so schnell es geht.«
    Als der Taxifahrer daraufhin mit offenem Mund dastand, scherzte Carreras: »Was mein Freund sagen wollte, ist, dass ich Millionen … Freunde habe.«
    Im Laufe seines Lebens ist José Carreras vielen Angehörigen des Adels wie auch einer
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