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Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik

Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik

Titel: Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik
Autoren: José Carreras
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Trotzdem genießt er alle Spiele seiner Mannschaft, des FC Barcelona, mit jeder Faser. Schwimmen ist der einzige Sport, den er selbst ausübt, und zwar zwischen zwanzig und dreißig Minuten täglich, ob zu Hause oder im Hotel. Einmal hat ihn sein Freund, der Unternehmer Marcel Pascual, überredet, ihn zusammen mit anderen Freunden zum Angeln in den Seen von La Pera zu begleiten, die auf über tausend Metern Höhe in den Pyrenäen liegen. Sie übernachteten in einer spartanischen Unterkunft, wo ihn Pascual bereits um vier Uhr morgens weckte. Sie tranken einen Milchkaffee, um munter zu werden, und machten sich in der Schwärze der Nacht auf den Weg durch den Wald zu den Seen. Auf den Gipfeln der Berge ringsum lag noch Schnee, kein Wunder, dass es Mitte Mai noch so kalt war. Während Pascual die Angelruten zusammensetzte, denn Carreras verstand nichts davon, verwünschte sich dieser im Stillen, dass er sich zu diesem ihm unsinnig erscheinenden Abenteuer hatte verleiten lassen. Allmählich wurde es hell, und da die Forellen anbissen, konnten die Angler im Laufe des Vormittags in die Unterkunft zurückkehren und die Fische dort zubereiten lassen. Anschließend lachten sie herzlich über die Ereignisse jenes Tages. Pascual versichert, dass er schon seit Längerem versuche, Carreras mit auf die Jagd zu nehmen, während sich
dieser dem Ansinnen mit immer neuen Ausflüchten entziehe. Doch ihm ist klar, dass er eines Tages zustimmen wird, denn Nein zu sagen fällt ihm schwer. Sicherlich wird er die ganze Welt verfluchen, wenn sie in aller Herrgottsfrühe auf das Wild ansitzen – und danach wird er, während sie miteinander die Jagdbeute verzehren, voll Wonne darüber scherzen. Er war ganz begeistert von den Filmen, in denen Walter Matthau und Jack Lemmon ständig aneinander herumzumäkeln haben, zugleich aber nicht voneinander loskommen. Mit Pascual zusammen bildet er gelegentlich ein ähnlich »seltsames Paar« wie diese beiden. Wenn er ihn nach Tokio begleitet, wo sich der eine seinen beruflichen und der andere seinen künstlerischen Aufgaben widmet, landen sie gewöhnlich im italienischen Restaurant Chianti.

    Pascual: I:
    »Nicht schon wieder ins Chianti. Wieso sollen wir immer dahin gehen, wenn es in Tokio von guten Italienern nur so wimmelt? Es ist weder das eleganteste Lokal, noch isst man da besser als woanders.«
    Carreras:
    »Da sollen die anderen hingehen. Möchtest du dich nicht über den lustigen Kellner amüsieren, der Jerry Lewis so ähnlich sieht?«

3.
Der kleine Junge, der in einem Vorstadtkino entdeckte, dass er Caruso sein wollte
    Z ur Welt gekommen ist José Carreras am 5. Dezember 1946 in einem weit von der Stadtmitte entfernten Viertel von Barcelona an einer nach dem Naturwissenschaftler Galileo Galilei benannten Straße. In dem schlichten Haus, das mit Keller, Erdgeschoss und einer Etage darüber genauso aussah wie viele andere dort, betrieb seine Mutter einen Friseursalon. Ganz in der Nähe lag die Straße Cruz Cubierta, deren Name auf ein überdachtes Kreuz zurückging, das in früheren Zeiten jenen damals vor der Stadt liegenden Bereich »rein halten« sollte, denn an deren Zugängen pflegten die Behörden einst Übeltäter öffentlich zu hängen, um Fremden drastisch vor Augen zu führen, dass man in der Hauptstadt Kataloniens den Gesetzen Geltung zu verschaffen wusste. Zum Zeitpunkt von Josés Geburt war das Ende des 19. Jahrhunderts nach Barcelona eingemeindete Städtchen Sants ein Arbeitervorort, in dem die Folgen des Spanischen Bürgerkriegs noch allenthalben zu sehen und zu spüren waren, weshalb die Bewohner in so manchem Hinterhof Hühner, Tauben oder Kaninchen hielten. In diesem einfachen Viertel kannten die Menschen einander, halfen sich gegenseitig, feierten miteinander Feste und setzten sich im Sommer vor die Haustür, um ein wenig Abkühlung zu haben und einen Plausch zu halten. Zwar waren sie arm, aber unter ihnen herrschten Zusammenhalt und aufrichtige Solidarität.
    Um die Mittagszeit hörte man auf den Straßen, in denen es mitunter durchdringend roch, nicht nur das melodische Pfeifen, mit dem sich der Scherenschleifer ankündigte, sondern auch den Ruf des Wollkämmers, der Kaninchenfelle aufkaufte, und die Glöckchen des grünen Müllkarrens, vor den ein Pferd gespannt war. Abends schritten die Laternenanzünder mit ihren langen Stangen von einer Gaslaterne zur anderen, bevor der Wachmann
die Runde machte, wobei er immer wieder mit seinem Stock auf den Gehweg schlug, um seine
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