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Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik

Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik

Titel: Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik
Autoren: José Carreras
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gut mit ihr; Jutta war verheiratet und hatte drei Kinder, Anna, Maximilian und Magdalena. Man könnte dieses erneute Aufeinandertreffen für einen Schachzug des Schicksals halten, eine Szene aus einem Drehbuch, von dem die Beteiligten nichts wussten. In Paulo Coelhos Am Ufer des Rio Piedra saß ich und weinte heißt es: »Der Weise ist nur deshalb weise, weil er liebt, und der ist ein Narr, der glaubt, er verstünde die Liebe.«

    Jutta ist meine beste Gefährtin geworden: Bei ihr fühle ich mich als Mensch frei und zugleich unserer Beziehung verpflichtet. Wir beide verstehen sie als etwas, für das wir uns täglich neu entscheiden, was man sich erarbeiten und womit man sorgsam umgehen muss. Dass ich ihr wiederbegegnet bin, war wie ein Wink des Schicksals.

    Da Carreras stets elegant auftritt, könnte man ihn mitunter für ein wenig eitel halten. »Ich gebe zu, dass ich ein Ästhet bin«, gesteht er. Das Ankleidezimmer des Tenors ist bemerkenswert: Alles darin ist einwandfrei gebügelt
und geordnet. Und Carreras hat einen Stilberater, Adriano Fracassi aus Brescia, der zugleich ein enger Freund ist. Doch diese Seite an ihm sowie das Bestreben, sein Privatleben zu schützen und sich in seine eigene Welt zurückzuziehen, hat beileibe nichts mit dem Wunsch zu tun, etwas Besseres zu sein. Im Gegenteil: Wenn er sich wohlfühlt – egal, unter welchen Menschen – , gelingt es ihm immer, ein entspanntes Gespräch in Gang zu bringen, denn jede Überheblichkeit liegt ihm fern.
    Gelegentlich kann sein an Besessenheit grenzendes Bedürfnis nach Hygiene leicht schrullig wirken. In seinem österreichischen Sekretär Fritz Krammer hat er den idealen Partner für diesen Drang gefunden. Über zwei Jahrzehnte lang ist dieser Carreras wie ein Schatten überallhin gefolgt und hat sich um die Alltagsdinge in dessen Welt gekümmert. Er hat Kleidung gebügelt, Knöpfe angenäht oder, wenn es nötig war, am anderen Ende der Welt am frühen Morgen eine Mahlzeit zubereitet. Außerdem hat er Carreras’ Terminkalender verwaltet, war Beichtvater und Berater. Und er war ein so ausgeprägter Reinlichkeitsfanatiker, dass Carreras sein Zimmer in einem Hotel erst dann bezog, wenn Fritz es auf das Penibelste inspiziert hatte. Sofern sich dort auch nur das winzigste Stäubchen fand, gab es eine saftige Beschwerde bei der Direktion und die durchaus ernst gemeinte Drohung, dieses Hotel nie wieder zu betreten.
    Einer seiner besten Freunde hat Carreras als »Einzelgänger, der nicht allein sein kann« bezeichnet. An anderen schätzt er Offenheit, eine einwandfreie moralische Haltung, Großzügigkeit und Verständnis für die Mitmenschen. Er selbst betrachtet sich privat wie auch beruflich als diszipliniert und als jemanden, der Bekannten wie Unbekannten einfühlsam gegenübertritt. Menschen, die er mag, behandelt er mit ausgesprochener Zuneigung. Er setzt sich für die Seinen ein, ob Freunde, Angehörige, seinen Fußballclub oder sein Land, und ist, wenn auch nicht fromm, so doch voll Achtung vor der Religion. Wann immer er eine Kirche betritt, bekreuzigt er sich, teils aus von klein auf geübter Gewohnheit, teils als Zeichen der Ehrerbietung. Menschen, die alles über das Transzendente zu wissen glauben, misstraut er; er selbst tritt dem Unerklärlichem voll tiefem Respekt entgegen.
    Die Lektüre von Zeitungen (fünf oder sechs am Tag, in verschiedenen
Sprachen) und Büchern ist ihm wichtig – meist liest er in mehreren gleichzeitig. Auch schreibt er gern, schämt sich aber der Ergebnisse so sehr, dass viele seiner am frühen Morgen niedergeschriebenen Gedanken im Lauf des Tages im Papierkorb landen. Er liebt Filme, sieht sie aber öfter zu Hause als im Kino an. Es hat ihn entsetzlich gewurmt, dass er in Franco Zeffirellis Verfilmung von La Traviata nicht die Hauptrolle übernehmen konnte, weil er zu jener Zeit an der Pariser Opéra Garnier verpflichtet war, und noch größer war seine Enttäuschung darüber, dass er auch die Hauptrolle in Luigi Comencinis Verfilmung von Puccinis La Bohème nicht würde singen können, weil er inzwischen an Leukämie erkrankt war – schließlich hatte einst ein Film in dem kleinen José den Wunsch geweckt, Sänger zu werden.
    Sport begeistert ihn geradezu leidenschaftlich. Wenn er nicht als Sänger Karriere gemacht hätte, wäre er gern Fußballspieler geworden, und als Zuschauer verfolgt er die Spiele nicht, sondern erleidet sie buchstäblich, sodass er am Ende der Partie erschöpfter ist als jeder Mittelfeldspieler.
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