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Aus Nebel geboren

Aus Nebel geboren

Titel: Aus Nebel geboren
Autoren: Emily Bold
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sich nach einem anderen Weg nach unten um, als er einen gellenden Schrei in der Dunkelheit vernahm, aus der Richtung, in der die Frau verschwunden war.
    „Himmel hilf!“, rief er und schwang sich auf ein tiefer gelegenes Mauerstück. „Ich riskiere meinen Kragen für ein gotteslästerliches Weibsbild!“
     

Der letzte Tanz

    Paris, heute
    Der Club war gut besucht.
    Zumindest etwas, dachte Fay, als sie das rote, mit Pailletten bestickte Oberteil über ihren Brüsten zurechtrückte und sich in dem angelaufenen Spiegel musterte. In dem heruntergekommenen Hinterzimmer machten sich die Mädchen für ihren Auftritt fertig, und eine verdächtige Spur weißen Pulvers zeigte, dass manche mehr brauchten als nur etwas Mut, um sich Tag für Tag von den perversen Kerlen anglotzen zu lassen.
    Fay zog an ihrer Zigarette und zupfte sich die roten Locken zurecht. Ihre Augen waren tiefschwarz geschminkt, und die roten Lippen eine laszive Einladung zu schmutzigen Fantasien. Sie sah billig aus. Das war gut, denn heute war billig Gold wert.
    Das war schon ihr zweiter Auftritt an diesem Tag. Der erste hatte ihr gutes Geld gebracht, aber vor dem kommenden graute es ihr. Es war Happy Hour und Anfassen damit erlaubt. Fay schluckte ihren Ekel hinunter, schloss die Riemen ihrer High Heels und drückte die Zigarette aus. Sie hasste ihren Job. Und sie hasste sich selbst, weil sie ihn machte.
    Die Musik wechselte, und Fay schob ein letztes Mal ihre Brüste nach oben, straffte ihre Schultern und trat durch den Vorhang.
    Wie immer brauchte sie einen Augenblick, um in den grellen Lichtern, die auf sie gerichtet waren, ihr Publikum zu erkennen. In diesem Moment redete sie sich ein, nicht im Café de Nuit zu tanzen, sondern in einem angesehenen Theater. Dann holte sie – wie immer – der erste Pfiff eines Gastes auf die schmutzigen Bretter der Realität zurück.
    Fay lächelte und leckte sich über die Lippen. Der Kerl schien zufrieden, und so hob sie ihre Arme über den Kopf und griff nach der Stange.
     

    Er rannte durch die Nacht. Auf den Straßen drängten sich noch immer unzählige Menschen, obwohl die Paraden längst vorüber waren. Ein Blick über die Schulter zeigte ihm, dass es ihm trotzdem nicht gelungen war, die Distanz zwischen sich und seinem Verfolger zu vergrößern. Er drängte sich auf die Straße, hetzte zwischen den fahrenden Wagen hindurch und ignorierte das Hupen der Fahrer, die wegen ihm scharf bremsen mussten.
    Sein Feind folgte ihm noch immer.
    Er stieß einen Mann um, als er die andere Fahrbahnseite erreichte. Dessen Fluch folgte ihm, aber er schenkte dem keine Beachtung. Vor ihm lag La Madeleine, und er eilte die Stufen der Kirche hinauf. Das Licht, welches die mächtigen Säulen des Portikus bei Nacht in Szene setzte, wirkte gespenstisch, und sein Atem, der ihm beinahe so laut wie der Hall seiner Schritte in dem marmornen Säulengang erschien, brannte in seiner Brust.
    Er musste von der Straße! Obwohl ihm gerade heute aufgrund der vielen kostümierten Teilnehmer der Paraden keiner besondere Aufmerksamkeit schenkte, wollte er doch vermeiden, so gesehen zu werden.
    Er hatte sich zu sicher gefühlt! Sie alle hatten diesen Fehler begangen, wie ihm nun klar war. Es musste einen Feind in den eigenen Reihen geben. Aber wer? Jedem von seinen Gefährten hätte er sein Leben anvertraut. Etwas, das ihn nun teuer zu stehen kommen konnte ...
    Schnell sprang er die Stufen auf der Rückseite der Kirche wieder hinunter und überquerte erneut die Straße. Der lange Lederumhang über seinen Schultern gab ihm Schutz, klatschte aber bei jedem Schritt gegen seine Beine. Das weiße Hemd darunter klebte ihm nass am Rücken, und das dunkelrote Wams, welches von dem breiten Gürtel zusammengehalten wurde, hätte an allen andern Tagen des Jahres sämtliche Blicke auf ihn gelenkt. Er wusste, es war riskant, sich so zu zeigen, aber diese Kleidung war wie eine zweite Haut für ihn und hatte ihm so manches Mal das Leben gerettet.
    Er drückte sich an den Stamm eines Baumes und suchte die Gegend ab. Ein Versteck. Etwas, wo er seinen Verfolger abschütteln konnte. Wie von selbst wanderte seine Hand an den Lederbeutel an seinem Gürtel. Ihm blieb nicht viel Zeit. Er brauchte einen Boten, wenn er selbst nicht entkommen konnte.
    Die leuchtenden Reklameschilder der Boutiquen, Bars und Restaurants spiegelten sich in den vorbeirauschenden Fahrzeugen. Vielleicht hatte er dort eine Chance.

    Fay biss die Zähne zusammen und lächelte, als die feuchte Hand
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