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Aus Nebel geboren

Aus Nebel geboren

Titel: Aus Nebel geboren
Autoren: Emily Bold
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sich die andere Hand fest auf die Wunde. Durch zusammengebissene Zähne fluchend, trat er vor, um zu widersprechen.
    „Jetzt aufzuhören, Julien, wäre die reinste Heuchelei! Der Krieg ist eben blutig! Sieh mich an“, er hob seinen verletzten Arm. „Wer weiß, ob mich der Schnitt dieser verfluchten Sarazenenklinge nicht umbringt? Was, wenn ich Wundbrand bekomme und sterbe?“ Er schüttelte den Kopf. „Ich bin hier, um diese gottlosen Heiden zu bekehren … und das werde ich tun!“
    Julien trat seinem Freund in den Weg. „Lamar, hör dich doch um! Klingen diese Schreie für dich nach einem Gebet? Denkst du, Gott sieht auch nur eine dieser armen Seelen? Hier wird nicht länger im Namen Gottes gekämpft – hier wird geschlachtet, und bei allem, was mir heilig ist, ich werde mich an dieser Sünde nicht länger beteiligen!“
    Juliens ältester Freund Gabriel trat nach vorne und klopfte ihm unterstützend auf die Schulter.
    „Er hat recht. Wir dürfen nicht vergessen, wer wir sind! Wir haben mehr Geist als dieses Heer von Bauern! Wie sollen wir je in die Heimat zurückkehren, wenn wir jetzt diese Gräueltaten auf uns laden? Eine Stadt zu erobern und zu unterwerfen, ist eine Sache, aber das …“
    Angewidert machte er eine Geste, die die ganze Stadt einschloss.
    Matteo, ein schmächtiger Bursche, dessen spärlicher Bartwuchs sein junges Alter zeigte, nickte, sodass ihm die dreckverklebten Haare in die Stirn fielen.
    „Ich habe gesehen, wie sie eine Frau vergewaltigen … eine Frau, deren Kopf sie schon abgeschlagen hatten“, berichtete er tonlos. Er und sein Zwillingsbruder Quirin waren mit ihren siebzehn Jahren die Jüngsten der Truppe, und sein kreideweißes Gesicht war verzerrt von Ekel.
    Julien trat zu ihm und legte ihm väterlich die Hand auf den Rücken.
    „Ihr hört es! Wollt ihr euer Seelenheil verspielen? Wir sichern den äußeren Ring der Stadt, lassen niemanden entkommen und werden Gefangene machen, um ihnen die Wahl zu lassen, sich des wahren Glaubens zu bekennen!“
    Matteo nickte und legte seine Hand auf seine Brust.
    „Deus lo vult!“, flüsterte er und bedeutete seinem Bruder, es ihm nachzutun. Schließlich schlossen sich alle dem Vorbild des Jüngsten an und leisteten Julien den Eid ihrer Gefolgschaft.
    „Danke, Lamar!“, flüsterte Julien seinem Freund ins Ohr, als alle wieder nach ihren Waffen griffen und sich geduckt den orientalisch-prunkvollen Mauern näherten. Er war erleichtert, denn hätte Lamar darauf bestanden, sich an den Kämpfen in der Stadtmitte zu beteiligen, hätten es ihm sicher einige von Juliens übrigen Männern nachgetan.
    Lamar kniff die Lippen zusammen, nickte aber.
    „Wenn ich an Wundbrand sterbe, verfluche ich dich!“
    Julien lachte und legte Lamar den Arm um die Schultern. „Das wäre aber nicht sehr christlich, Lamar!“
    Rücken an Rücken duckten sie sich durch eine schmale Seiteneingangstür, während der Großteil der Truppe schon durch das breite Portal in den marmornen Innenraum drang. Obwohl die Schreie der Sterbenden wie eine Dunstglocke über ganz Jerusalem hingen, herrschte im Inneren des tempelartigen Palastes absolute Stille. Die Schritte ihrer Stiefel und das leise Klirren der Waffen waren die einzigen Geräusche.
    Julien kniff die Augen zusammen, um seinen Blick zu schärfen. Es war stockfinster und bis auf das sich im Blattgold der Säulen reflektierende Mondlicht, welches matt zur großen Tür hereinfiel, war nichts auszumachen. Er versuchte, seine Männer zu erkennen. Der schlanke Arjen, Gerome, Louis, Matteo oder Quirin – die Zwillinge waren auf die Entfernung unmöglich zu unterscheiden –, Cruz und dahinter, das musste der dunkle Schopf von Gabriel sein. Dann der große Sachse Arnulf und Claudio. Die zwei kämpften gewöhnlich Seite an Seite.
    Julien war zufrieden mit sich. Seit er den Befehl über diese Männer hatte, hatte er nur einen Mann verloren – und das auch nur an den Wahnsinn.
    Ein kalter Lufthauch wehte durch die steinernen Säulen hindurch, und trotz der Dunkelheit war zu erahnen, wie prächtig und beeindruckend die große Halle unter anderen Umständen sein musste. Julien schwitzte. In den Schatten, so schien es ihm, lauerte das Unheil.
    „Es könnten sich Dutzende dieser Bastarde hinter den Säulen verkrochen haben“, murmelte Lamar und sprach damit Juliens eigene Gedanken aus.
    Er konnte sich nicht vorstellen, dass die Araber, so erbittert sie ihre Stadt und ihren Glauben verteidigten, gerade ihre prunkvollsten Bauten
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