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Aus der Welt

Aus der Welt

Titel: Aus der Welt
Autoren: Douglas Kennedy
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uns der Atlantik trennte. Dass Tom für einen Master in Geschichte in Harvard angenommen worden war, machte die Sache nicht leichter. Aber er hatte beschlossen, das Angebot aus Dublin anzunehmen – es sei schließlich nur für ein Jahr. Danach würde er zu mir nach Harvard kommen, um dort seinen Doktor zu machen.
    »Du kannst mich an Thanksgiving besuchen«, sagte er. »An Weihnachten komme ich, und in den Osterferien reisen wir quer durch Europa … und ehe wir’s uns versehen, ist das Jahr rum.«
    Ich wollte ihm nur zu gern glauben. Und nahm mir vor, ihn zu nichts zu zwingen und ihn auch nicht emotional unter Druck zu setzen (»Würdest du mich wirklich lieben, würdest du nicht gehen«), so wie meine Mutter meinen Vater, bevor er uns verließ.
    »Natürlich möchte ich nicht, dass du gehst«, sagte ich, nachdem er mir mitgeteilt hatte, dass er vor Harvard nach Dublin aufbrechen würde. »Aber ich werde dich auch nicht davon abhalten.«
    Von da an begannen die Beteuerungen. Je zahlreicher sie wurden, desto klarer wurde mir, dass er Schluss machen und gehen wollte. Als der fünfzeilige Brief meines Vaters ankam – und Tom sich so sehr bemühte, mich zu trösten –, platzte ich mit der grausamen Wahrheit heraus: »Sobald du in Dublin landest, ist es aus zwischen uns.«
    »Das ist doch Quatsch«, sagte er. »Ich habe nie auch nur angedeutet, dass …«
    »Aber so wird es kommen, denn …«
    »So wird es nicht kommen«, sagte Tom verärgert. »Dafür bist du mir – ist mir das mit uns – viel zu wichtig. Ich verstehe gut, warum du gerade so empfindlich reagierst, aber …«
    Aber du verstehst eines nicht, nämlich dass man Männer nicht unter Druck setzen darf, sonst sind sie weg.
    Nun, er ging nach Dublin – und wir schworen uns ewige Liebe und derlei romantische Dinge mehr. Kurz vor Thanksgiving kam es zur Trennung. Er wollte eigentlich nach Hause fliegen, und ich sollte ihn an Weihnachten in Paris treffen. Doch eines musste man Tom lassen: Er war fair, tischte mir keine Lügen auf und ließ mich auch nicht im Ungewissen zappeln, als er mir sagte, dass er aufgrund von unvorhergesehenen Umständen nicht am 21. November in Boston landen würde. Stattdessen rief er mich an und sagte mir geradeheraus: »Ich habe jemand anders kennengelernt.«
    Ich wollte keine Einzelheiten wissen – ich bin schließlich nicht masochistisch veranlagt –, und er erzählte auch nicht viel, nur, dass sie Irin sei, eine Medizinstudentin am Trinity College, und dass es »was Ernstes« sei. Als er mit Sätzen rausrückte wie »Das kam wirklich völlig überraschend«, sagte ich: »Aber klar doch.«
    Eine lange Pause entstand.
    »Es tut mir leid«, sagte er.
    »Mir auch.«
    Und das war’s dann. Die bisher wichtigste Beziehung meines Lebens war plötzlich zu Ende. Ich verkraftete die Neuigkeiten nicht besonders gut, zog mich etwa eine Woche lang von allen zurück, besuchte in Harvard keine Vorlesungen und Arbeitsgruppen mehr und ertrank in meinem winzigen Einzimmerapartment in Somerville mehr oder weniger in Selbstmitleid. Ich war überrascht, wie verstört ich war. Wir hatten doch so gut zusammengepasst! Aber Timing ist alles, und bei uns hat es einfach nicht funktioniert.
    Tom kehrte nie mehr in die Vereinigten Staaten zurück. Er heiratete seine irische Medizinstudentin, promovierte am Trinity College und bekam schließlich eine Stelle an der Uni in Galway. Wir sollten uns nicht wiedersehen. Obwohl er sicherlich regelmäßig heimflog, um seine Eltern zu besuchen, meldete er sich in all den Jahren, in denen ich in Cambridge lebte, kein einziges Mal. Nur ein Lebenszeichen erhielt ich: eine Weihnachtskarte, wenige Jahre später, die Tom mit seiner Frau Mairéad und den gemeinsamen drei kleinen Söhnen Conor, Fintan und San zeigte. Sie standen vor einer Art Reihenhaus. Ich wunderte mich, da Tom – genau wie ich – stets geschworen hatte, niemals Kinder zu haben und nie »in die Pampa« zu ziehen. Es gab mir keinerlei Stich mehr, als ich dieses Foto betrachtete. Ich konnte nur staunen, wie das Leben einfach weitergeht – und wie man sich so leicht aus den Augen verlieren kann, obwohl man so viel miteinander geteilt hat. We lose things and then we choose things. Stammte das nicht aus einem Song, den ich irgendwo mal gehört hatte? Vielleicht sogar mit Tom? Oder mit David? Und hatte mir David – kurz nachdem wir ein Paar wurden – nicht gesagt, dass das Leben ein ständiges Kommen und Gehen ist?
    Ich beantwortete Toms Weihnachtsgruß
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