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Aus der Welt

Aus der Welt

Titel: Aus der Welt
Autoren: Douglas Kennedy
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nahm ich wahr, und wir sprachen eine Stunde lang über Frank Norris’ Gier nach Gold – laut David nicht nur eine Anklageschrift gegen die amerikanische Habgier, sondern auch gegen die Zahnmedizin Anfang des 20. Jahrhunderts.
    »Aber Sie brauchten letzte Woche keinen Zahnarzt, oder?«, meinte er.
    »Nur Schlaf.«
    »Und jetzt ist wirklich wieder alles in Ordnung?«
    Daraufhin senkte ich den Kopf, biss mir auf die Unterlippe und spürte, wie mir die Tränen kamen. David zog eine Schreibtischschublade auf und holte eine Flasche Scotch sowie zwei Gläser hervor.
    »Als ich aufs College ging«, sagte er, »riet mir mein Tutor, als Professor immer eine Flasche Whisky im Aktenschrank zu haben … für Momente wie diesen hier.«
    Er schenkte uns zwei Fingerbreit Scotch ein und reichte mir ein Glas.
    »Wenn Sie darüber reden wollen …«
    Und ob ich darüber reden wollte – ich war selbst überrascht, dass die Geschichte nur so aus mir herausbrach, wo ich doch sonst nie über solche Dinge redete, geschweige denn mit meinem Doktorvater. Abschließend hörte ich mich sagen: »… keine Ahnung, warum mich das alles so sehr mitnimmt. Schließlich wusste ich schon vor einem halben Jahr, wie die Sache ausgehen wird. Ich habe es ihm letztes Frühjahr sogar auf den Kopf zugesagt, als er unbedingt nach Dublin wollte. Aber er sagte immer wieder …«
    »Lassen Sie mich raten: ›Dich verlassen ist wirklich das Letzte, was ich will. Es ist ja nur für acht Monate, danach fallen wir uns wieder in die Arme‹?«
    »Ja, so ähnlich. Andererseits wollte ich ihm nur zu gern glauben.«
    »Was durchaus verständlich ist. Wenn wir etwas – jemanden – nicht verlieren wollen, glauben wir allen Beteuerungen, selbst wenn wir insgeheim so unsere Zweifel haben. Wir behaupten, Lügen nicht ausstehen zu können. Und trotzdem lassen wir uns bereitwillig belügen, denn so können wir uns vor der unangenehmen Wahrheit drücken.«
    »Ich wollte die Beziehung auf keinen Fall beenden.«
    »Warum sind Sie ihm dann nicht nach Dublin gefolgt?«
    »Weil ich hierherkommen wollte. Und weil ich nicht in Dublin leben will.«
    »Oder nicht von ihm abhängig sein wollen?«
    Ich spürte, wie ich mich verkrampfte, was auch David nicht verborgen blieb.
    »He, es ist schließlich nicht schlimm, nicht in jemandes Schatten stehen zu wollen …. Aber haben Sie sich jemals gefragt, ob er vielleicht nicht in Ihrem Schatten stehen wollte? Glauben Sie mir, Männer mögen es nicht, wenn sie merken, dass ihnen eine Frau überlegen ist.«
    Ich spürte, wie ich rot wurde. »Bitte … ich vertrage keine Komplimente.«
    »Ich will Ihnen kein Kompliment machen. Ich sage nur die Wahrheit. Vielleicht war alles in bester Ordnung, als Sie noch aufs College gingen. Aber eine Promotion ist etwas ganz anderes. Ab diesem Zeitpunkt beginnt man, sich ganz auf seine Karriere zu konzentrieren, fährt die Ellbogen aus und konkurriert miteinander. Obwohl so ein Konkurrenzdenken bei uns in Harvard natürlich tabu ist …«
    Er schenkte mir ein schelmisches Lächeln und fügte dann hinzu: »Das Schlimmste an einer Trennung ist, verlassen zu werden. Den anderen zu verlassen, ist einfacher.«
    Danach lenkte er das Gespräch wieder auf unseren Forschungsgegenstand. In den kommenden Wochen sprach er mich bewusst nicht mehr auf das Thema an. Stattdessen eröffnete er unsere Tutorien mit der Bemerkung: »Wie geht’s?« Obwohl ich ihm hätte erzählen können, dass ich immer noch schwer angeschlagen war, beschloss ich, nichts zu sagen. Schließlich gab es dazu auch nichts mehr zu sagen, und ich hasse es, mich in Selbstmitleid zu ergehen. Trotzdem dauerte es mehrere Monate, bis ich den Verlust einigermaßen verkraftet hatte.
    Schon dass meine Beziehung zu David erst ein halbes Jahr, nachdem mir Tom den Laufpass gegeben hatte, begann, bedeutete …
    Ja, was eigentlich? Dass David kein Arschloch war, die Situation nicht ausnutzte, als ich mich ganz besonders einsam und verletzlich fühlte? Dass wir schnell eine ernsthafte Beziehung hatten, da wir uns bereits fast ein Jahr kannten, als wir mehr wurden als nur gute Freunde? Oder dass wir beide extrem lange Spielchen miteinander spielten, denn im Grunde war von Anfang an klar (mir zumindest), dass wir uns mehr als nur sympathisch waren?
    Aber er war mein Professor, er war verheiratet – und ich konnte mir nicht ansatzweise vorstellen, Teil einer Dreierbeziehung zu sein oder die undankbare Rolle der heimlichen Geliebten zu übernehmen. Von dem Moment
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