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Aus dem Berliner Journal

Aus dem Berliner Journal

Titel: Aus dem Berliner Journal
Autoren: Max Frisch
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13.2.
     
    Fernseh-Gerät als einziges Möbel in einem leeren weissen Zimmer.
     
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    Dass ich mich meinte für den Lauf der Welt verantwortlich fühlen zu müssen, geht aus der Korrespondenz hervor (nachgeschickt über die bisherigen Adressen): Einladung zum Deutschen Evangelischen Kirchentag, Einladung vom Ungarischen PEN-Klub und ähnliches, Leserbriefe als sympathisches Echo auf denselben Irrtum.
     
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    Strassen in Berlin und seine Kneipen, sein Wannsee, seine Kiefern, sein nordischer Himmel, die eine und andere U-Bahn-Station; die Patina, die diese Stadt hat, Patina für mich: Proben im Theater mit Caspar Neher, Hanne Hiob, Ernst Schröder, Tilla Durieux und vielen andern (die Kortner-Inszenierung und die Schweikart-Inszenierung habe ich seinerzeit nicht gesehen) und Ehebrüche .
     
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    Nachmittags in die Stadt, um Geräte für die Küche einzukaufen; es ist ungefähr das siebente Mal, dass M. und ich eine Küche einrichten . Zweimal in Rom, Via Margutta; Berzona; zweimal in Zürich, Lochergut und Birkenweg. Ferner braucht man Kleiderbügel.
     
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    19 Die erste Übung in Ost-Fernsehen. Das hat man bald erlernt, fürchte ich; paradoxerweise erinnert ihre öde Simplifikation an die Nazi-Zeit.
     
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    Unsere Wohnung liegt in der Flugschneise zu Tempelhof, was ich aber gewusst habe; sie kommen von Westen und starten nach Westen. Dazwischen Stille, Friedenau, viele Rentner. Das schrille Dröhnen ist weniger störend als aufregend.
     
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20 14.2.
     
    Man braucht doch mehr als vermutet, zum Beispiel einen Lamellen-Vorhang wegen Morgensonne auf dem ganzen Arbeitstisch.
     
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    1959 im Kreisspital Männedorf (Hepatitis) schrieb ich Notizen für mich allein. Gedanken im Morgengrauen auswendig gelernt, also möglichst simple Sätze; zur sofortigen Niederschrift fehlte die körperliche Kraft, dann stundenlange Infusion, die Angst dabei, dass ich die paar wenigen Sätze vergessen könnte, und nach der Infusion die völlige Ermattung; erst um Mittag konnte ich notieren nach dem Gedächtnis, dabei der Schrecken, dass die Augen versagten, trotz Brille musste ich das Blatt ganz nahe vor das gelbe Gesicht nehmen, die paar Sätze noch einigermassen im Kopf, aber schwierig zu schreiben: N wurde M, R geriet als P, sodass jede Zeile mehrmals zu schreiben war. Zum Schluss, bevor der Schlaf wieder unabwendbar wurde, die Erleichterung, als habe man etwas gerettet; nach dem Schlaf holte ich den Zettel aus der Schublade, um zu wissen, was ich im Morgengrauen für Erkenntnis gehalten habe, und musste feststellen, dass nicht nur da und dort der Artikel fehlte, sondern oft auch das Verbum. Trotzdem verwahrte ich die Notizen, wie konfus sie auch sein mochten, nach der Genesung. Wozu? Ein paar Jahre später, in Rom, erklärte mir Ingeborg Bachmann , sie habe übrigens die Notizen aus dem Spital gefunden (ich war überzeugt, die Schublade sei abgeschlossen gewesen) und sie habe sie verbrannt. Sie fühlte sich nicht bloss im Recht, sondern verraten. Das war vormittags im Café Canova, 21 Piazza del Popolo. Seither haben wir uns nicht mehr gesprochen.
     
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    Kampf gegen den Alkohol, keine Woche ohne Niederlagen diesbezüglich. Der ärztliche Leberbefund (Januar) ist tadellos; kein Arzt findet heraus, warum mir die Aasgeier auf der Schulter sitzen. Jeder Arzt, ob in Zürich oder in New York, zeigt mein Elektrokardiogramm mit wahrem Entzücken. Betreffend Alkohol: ich besitze nicht einmal mehr den Willen, ehrlich zu sein, nicht einmal mir selbst gegenüber.
     
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    Mit M. um den Schlachtensee gegangen. Wenn sie fröhlich ist, so scheint mir überhaupt nichts unlösbar.
     
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    Deformation durch Schriftstellerei als Beruf, Popanz der Öffentlichkeit; als lebe man, um etwas zu sagen. Wem?

22 15.2.
     
    Jürgen Gruner, Leiter von VOLK UND WELT , schreibt, wie sehr er sich freuen würde über einen Besuch im Verlag. Die erste Begegnung kürzlich in Zürich. Ohne zu wissen von einer Order, dass sie, wenn sie im Westen reisen, Einladungen in Privat-Wohnungen nicht annehmen sollen, führte ich Herrn Gruner in ein bürgerliches Restaurant (REBLAUBE) zum Gespräch. Der Verlag bringt jetzt HOMO FABER , aber STILLER noch immer nicht; beides in der UdSSR längst veröffentlicht. Kellnerin fragt, ob ein Aperitif; Herr Gruner winkt sofort ab, als beginne eine Art von Bestechung, nimmt aber, da ich mir einen Campari bestelle, doch einen Cognac und Mineralwasser. Er möchte, so sagt er schon mit
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