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Aus dem Berliner Journal

Aus dem Berliner Journal

Titel: Aus dem Berliner Journal
Autoren: Max Frisch
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schriftstellerische Existenz, und ich kenne persönlich nur zwei, die, ihrer Anlage nach (was mehr meint als Talent), solchen Massstäben entsprechen können: Dürrenmatt und Johnson. Dabei geht es nicht in erster Linie ums Gelingen, auch nicht um die Wirkung einzelner Werke zu ihrer Zeit. Der Grundriss einer Produktion, sein Format; ein Format des Anspruchs, der über den persönlichen Anspruch (z.   B. Anspruch auf Ruhm) hinaus reicht. Und das lässt sich nicht imitieren durch Allüre. Die Emigration sowohl als Herausforderung wie als Test.
     
    49 13.-15. in Leipzig. Gast des Verlages VOLK UND WELT (Gruner, Links). Zweieinhalb Tage lang auf Händen getragen durch die Buchmesse, zwei allgemeine Empfänge. Wo bleiben die Autoren? Gewisse West-Bücher (darunter TAGEBUCH) schon in den ersten Stunden von den Messe-Ständen geklaut; später in der Koje des Verlages VUW von Angestellten gebeten, eigne Bücher zu signieren, West-Ausgaben, die sie privat besitzen. Woher? Bücher noch immer Schmuggelware, ihr Hunger nach Literatur, die hier nicht zur Veröffentlichung kommt. Aus beiläufigen Gesprächen doch allerlei Informationen; Vorsicht mit Schlussfolgerungen meinerseits. Wir, im Status des Privilegierten, fühlen uns wohl und das Volk auf den Strassen sympathisch. Auf Plakaten: INTERNATIONAL ANERKANNT, AUF ALLEN MÄRKTEN DER WELT usw., Reflex einer Klaustrophobie? Insofern nicht provinziell: vielen ist der Provinzialismus immerhin bewusst; der Mangel an direkten Vergleichsmöglichkeiten mit dem verfemten Westen hat keinen Hochmut erzeugt, auch nicht ohne weiteres Selbstbewusstheit, eher Minderwertigkeitsangst. Fast überhaupt nicht gehört: die aggressive Polemik gegen aussen; sie haben es satt, scheint es, Kritik nur als Kritik am andern. Wenig Verlangen nach politischer Diskussion (mit einem Ausländer); sie rechnen damit, dass man die Propaganda-Texte kennt, und es ist oft, als genieren sie sich persönlich dafür. Ich habe dann Scheu, Fragen zu stellen, die den einzelnen in Verlegenheit bringen; immer eine Vertrauenssache. Der berühmte Papiermangel, die nationalwirtschaftliche Erklärung dafür, der Zensur ist das willkommen: sie muss nicht immer heraus mit der Sprache, es genügt, dass man auf den Papiermangel verweist. Einmal die Frage an G., warum Günter Grass eine 50 Unperson ist. Es ist wohl am meisten sein Brecht-Stück, seine 17. Juni-Version , dann die frühere Pornographie als willkommenes Moral-Argument; er repräsentiert BRD [mehr] als irgendein andrer.
     
    Theater: eine Komödie von Bulgakow , in ihrer Anlage sehr frech und frei, leider Schmieren-Darstellung, es wäre ein poetischer Schwank in der jungen Sowjet-Gesellschaft (geschrieben 1930), nicht »konterrevolutionär«, befreiend durch Fantasie, die eben nicht an Planung zu binden ist, Iwan der Schreckliche in einer Sowjet-Siedlung.
     
    Kabarett: wie direkt und unverblümt die Kritik an DDR-Zuständen sich kundgibt, hat mich völlig überrascht. Zensur ist die Voraussetzung für gutes Kabarett. Ziele des Spottes: Waren-Qualität, Tamtam um die Weltjugendfestspiele, die Fernseh-Phrasen, ein Bruder-Besuch aus dem reichen Westen, ein Kollektiv, das einen kollektiven Einfall haben soll und entdeckt, dass Einfälle immer nur ein einzelner hat. Das Publikum lacht nicht nur mit, es lacht betroffen; Ventil-Effekt schon durch die offene Erwähnung alltäglicher Erfahrungen der Bürger eines Staates, der sie durch Eigenlob in Spruchbändern zu entmündigen versucht. Übrigens haben diese Spruchbänder in den Städten abgenommen.
     
    Undurchschaubar bleibt mir ihr Verhältnis zur UdSSR. Erzähle ich einmal von Moskau oder Gorki, so erweckt das wenig Neugierde; keine Fragen. Man scheint froh zu sein, wenn ich positiv oder harmlos berichte; dann müssen sie den Grossen Bruder nicht verteidigen. Von sich aus erwähnen sie ihn kaum je.
     
    51 Zum Schluss auch Besuch der Industrie-Messe. Maschinenbau, Schiffsbau, Technik jeder Art; hier der blanke Fortschritt.
     
    Sie haben herausgefunden, dass M. Geburtstag hat, und bringen gelbe Rosen. Überhaupt viel Liebenswürdigkeit. Auch unter einander eine grössere Hilfsbereitschaft, so scheint es mir, und nicht aus Doktrin, nicht der Staats-Maxime zuliebe. Man geht hier mit einem Gefühl, Unbekannte würden einem helfen. Viele graue Mienen; es geht nicht schlecht, aber ohne besondere Hoffnungen. Auch viel Biederkeit.
     
    Kurzes Gespräch mit einem jungen Theologen, der mich erkannt hat; er besitzt ein einziges
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