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Aufzeichnungen eines Schnitzeljägers

Aufzeichnungen eines Schnitzeljägers

Titel: Aufzeichnungen eines Schnitzeljägers
Autoren: Bernhard Hoëcker
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Koordinaten des Finals. Irgendwo bei 57° 32. deg. Ui, da waren sie. Diese Buchstaben deg. Wir erinnerten uns dunkel daran, dass sie etwas mit derCachebeschreibung zu tun hatten. Die Erinnerung frischte langsam auf, und uns fiel ein, dass sie durch Werte ersetzt werden sollten, die sich aus den Fragen ergaben. Sofort war uns wieder präsent, dass wir diese Fragen nie beantwortet hatten, und es war sonnenklar, dass wir auf jeden Fall dem anderen die Schuld geben mussten.
    «Du   …», setzten wir beide an, schwiegen jedoch gleich wieder. Wir hatten ein gemeinsames Ziel und würden die Sache gemeinsam durchstehen. Ernst blickten wir uns an. Tobi zog mit unglaublicher Gelassenheit die Cachebeschreibung aus der Hosentasche. Ich war emotional völlig überfordert ob dieses wahnsinnigen Einfalls, die Beschreibung mit in den Wald zu nehmen, das machten wir sonst eigentlich nur dann, wenn wir sie letztendlich nicht brauchten. Mir entfleuchte ein «Toll!», mehr Komplimente wollte ich ihm dann doch nicht machen.
    Jetzt hatten wir sie vor uns. Die Fragen. Sie waren für uns böhmische Dörfer. Mehr noch, denn wir wussten nicht einmal, was der Ausdruck «böhmische Dörfer» bedeutet. 77 Wir blickten auf den Zettel. Wie sollten wir jetzt um alles in der Welt ohne Internet die Lösungen herausfinden? Wer weiß schon, welches Gebirge eine natürliche Grenze zwischen Tschechien und der Slowakei bildet? Ich rief Chrissi an, die Freundin, die damals schon das GP S-Gerät falsch herum gehalten hatte, sodass wir die Suche bei Einbruch der Dunkelheit abbrechen mussten. Vielleicht war es auch bei Einbruch des Winters   … keine Ahnung. Doch sie war nicht da oder hielt auch das Telefon falsch herum. Wer weiß das schon.

    Der Mittelpunkt Europas, ich hocke knapp daneben, am Telefon Chrissi, die nicht weiterhelfen kann
    Wir wurden nervös. Jetzt blieb nur noch jemand übrig, der Literatur und vergleichende Sprachwissenschaften studiert hatte und deshalb zwangsweise beim Fernsehen gelandet war. Wir riefen Renate an, und die hatte eine wirklich abgefahrene Idee: Sie benutzte ein Lexikon. Das sind diese dicken, schweren Dinger, die man zum Staubsammeln in Regale stellt. Den Staub entfernt man eigentlich nur dann, wenn Gäste kommen, damit es so aussieht, als hätte man in den Wälzern auch ab undan mal geblättert. Dabei ist zu beachten, dass man nicht alle Bücher gleichzeitig reinigt, damit möglichst ein unregelmäßiges Schmutzmuster entsteht. Alles andere würde sofort auffallen. Dass so etwas wie dieses Lexikon überhaupt funktioniert, noch dazu in Zeiten von Wikipedia, in denen Informationen in Bruchteilen von Nanosekunden veralten, überraschte mich völlig. In der Zeit, in der mein Rechner normalerweise das Bios startet, Windows hochfährt, die Firewall installiert, den Virusscanner aktiviert, die neuesten Updates herunterlädt, hatte sie herausgefunden, wie viele Länder eine gemeinsame Grenze mit der Slowakei haben.
    Wir hatten also endlich unsere Lösungswörter und mussten jetzt nur noch Buchstaben zählen, voneinander abziehen, etwas addieren und all die kleinen Neckereien anstellen, mit denen Cacheleger so versuchen, die Sucher aufzuhalten, aber letztendlich nur Zeit schinden können. Dann wussten wir: 118   Meter in 54°. Wir stapften los. Quer durch den Wald, ohne einen Weg, der unseren Schritten Sicherheit verheißen hätte. 100   Meter, 60   Meter, 40   Meter, 20   Meter, zehn Me   … Uahh, ein Abgrund! Direkt vor uns ein Steinbruch. Der sah aus, als wäre da noch der eine oder andere Stein gebrochen worden, NACHDEM der Cache gelegt worden war. Tobi zog die Cachebeschreibung aus seiner Hosentasche. Ein schneller Blick in die Logs, um zu sehen, ob ein anderer Cacher irgendwelche Hinweise hinterlassen hatte. Doch da stand überall so was wie: «Gut gefunden» , «leicht» oder «kein Problem» . Der letzte Fund war allerdings von Mitte Februar, und jetzt war es Ende April. 78
    Damals lag hier Schnee, jetzt war alles voller Schiefertafeln. Da die berechneten Koordinatennicht genau in der Luft liegen konnten und sich auch nicht sonst wo mitten in dem in Betrieb befindlichen Steinbruch befinden sollten, gingen wir um den Steilhang herum. Wir fingen an zu suchen, vielleicht hatten wir ja nur ein Problem mit der Ungenauigkeit, aber es dauerte nicht lange, höchstens zehn oder 20   Sekunden, da fiel alle Hoffnung von uns ab. Sie prallte auf den Boden, rollte seitlich weg und stürzte, zur völligen Hoffnungslosigkeit
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