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Aufgelaufen

Aufgelaufen

Titel: Aufgelaufen
Autoren: Michael Koehn
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Halluzin a tionen, die keine waren, in Wirklichkeiten. Sie lebte Klischees, die sie aus abonnierten Zeitschriften bezog, wand sich in Abwehrhaltung zu jeglicher Realität, die sie sich letztlich schöngesoffen hatte.
    Es ging um Mord; darum nämlich, dass sie Emil umgebracht haben sol l te.
    Marie saß auf der Anklagebank, doch es könnte auch eine andere gew e sen sein, oder eine so Ä hnliche.
     
    „Wie war es denn? Erzählen Sie!“, dröhnte der Richter in ihre Geda n ken.
    „Er kam nach Hause, betrunken wie immer, setzte sich in die Stube und rauchte. ‚ Kaffee!‘, brüllte er dann. Er war drei Tage verschwunden,  und genauso lange war ich betrunken, wissen Sie.“
    „Ich weiß gar nichts. Erzählen Sie weiter!“, schnauzte der Richter.
    „Ja, Herr Richter, äh, diesmal war alles anders. Er goss sich e ine zweite Tasse ein und erzählte alte Geschichten, wieder und wieder. Sprach o h ne aufzuhören. Dann zündete er sich erneut eine Zigarette an und ging ins Schlafzimmer. Er zog sich aus, ich konnte ihn durch den Spiegel auf dem Flur beobachten, setzte sich aufs Bett und sah sich in dem sonst leeren Zimmer um.
    „ Was bin ich doch für ein armes Schwein“, murmelte er. Er war ein K ö ter, der ferne Erinnerungen aufwühlte. Und er stöhnte dabei. Als er sich selber sah, so plötzlich, wie nie zuvor, war er nicht mehr der Mensch, den er kannte. Er war sich fremd! Ein kleines fettes Schwein voller Gestank, Schweiß, Akne und dunkler Selbstbedrohung. Was war da bloß los, fragte er sich und sagte dann: „ Mein Kopf ist immer leer. Und immer das Bre n nen in den Augen. Das Brummen in den Ohren. Dieser Singsang im Hirn. In mir lebt eine Welt, deren Geheimnis ich nicht kenne. Ein Meer als stumm blitzender Ton, ein sich entfernender Lichtfleck und Geruch; di e ser Taumel tausender Gefühle, die nicht erklärbar sind …
    Ich möchte einfa ch dasitzen und glücklich sein.“ E r wusste wohl nicht, dass er es a ussprach und nicht nur dachte. „Glücklich sein“, hat er dann wiederholt, „ das wär’s. Aber er hat mich nicht angesehen im Spiegel, hat mich überhaupt nicht gesehen, denke ich.
    Komm her, du Schlampe!“ , brüllte er stattdessen.
    Er hatte den Gürtel aus der Hose gezogen und wollte mich damit schl a gen, wie immer. “
     
    Pierre wünschte sich weit weg, raus aus dem Traum, auf den Mond, in den Dschungel von Malaysia, in die Wüste Negev. Auf den höchsten Berg, den Meeresboden. In diesen Graben, der einer der tiefsten der Erde sein sollte. Dort hinab wollte er fliehen. Denn dann, wenn man Emil fi n den sollte, das, was von ihm übrig, in der Schäferkate bei Bispingen, di e sem rührseligen Heidedorf unweit von hier, würde der ganze Scheiß wi e der von vorne beginnen. Ja, es würde ein Richter in alter Frische sein L e ben aufblättern. Ihn als denjenigen bloßstellen, der er für alle Richter der Welt und all die Justiz und Selbstjustiz war. Mehr als quälende Rippe n stöße würde die ihm in die Seele rammen. Diese Scheißer! Letztlich wü r de sein immer und ewig schlechtes Gewissen wie ein Hund nach Zecken durchforstet. Er würde bloßgestellt und vernichtet. Ungeziefer war er, das Krankheiten übertrug. Er würde ihnen ausgeliefert sein, wie er immer irgendwem ausgeliefert war. Wie sich selber, wenn kein anderer da war, dem Leben hin zum Tod. Zertreten werden , sollte er von Richter „Ungn ä dig“, dem Herrscher über Erde und Universum.
    Doch warum sollte er das wieder auf sich nehmen? Könnte der Tod nicht gleich sein, jetzt, auf der Stelle, hier ...?
     
    „Kannst du mal bitte die Tische eindecken, Pierre? Die Gäste kommen gleich!“, hörte er aus der Entfernung die Bitte von Marie.
    „Ja, mache ich!“, kam ein wenig zu schnell seine Antwort.
    Un d irgendwie war die Flucht vor weiteren Gedanken in normale Täti g keiten doch auch was, oder? Oder auch nicht, denn sie rufen Schmerzen hervor, Qualen, bringen Erinnerungen zum Schreien. Inneres wurde nach außen gekehrt, das Leben im ehemaligen Tun erstickt. Gottes Methode, des Teufels Würze. Deckmantel, Vorwand, Normalität eingebettet in Pl a ge. Knast tagtäglich, lebenslänglich unfrei …
     
    Pierre spürte das Bedürfnis , zu kotzen, das musste der Geruch von Bier sein. Von Gästen, die er auf dem Parkplatz beobachtete, Leute, die mite i nander schäkerten, fröhlich taten. Die aber in Wirklichkeit das Grauen am Leben schuldig zu sein, wie schalen Biergeruch vor sich hertrugen, so wie er früher. Erst Glühwürmchen,
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