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Aufgelaufen

Aufgelaufen

Titel: Aufgelaufen
Autoren: Michael Koehn
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zeug und eventuell sogar eine Frau, hätte er eine zu verleihen gehabt. Je länger er auf der Fahrt nach Hamburg darüber nachdachte, sogar alles und alle zusammen, ja, alles auf einmal – und zusammen. Verflixt! Denn e i gentlich waren ihm solche Typen egal, sowas von egal. Doch der hier nicht, und wieder verflixt, denn dessen Aufmerksamkeit für alles und j e den, das befremdete ihn nicht mal, nicht wie sonst jedenfalls. Es war be i nahe wie mit einem Freund, mit dem man zusammen das Auto wusch, Angeln ging, Tennis spielte, in der Kneipe saß. Warum bloß?
    „Möchten Sie, dass wir das Fenster öffnen?“
    „Nein, wieso?“
    „Sie schwitzen augenscheinlich!“
    „Der Entzug, Herr Kriminalrat …“
    Manieren sollten mit Manieren vergolten werden.
    „An der nächsten Tankstelle holen wir was. Sie sollen nicht leiden, Pie r re. Ich darf Sie doch Pierre nennen?“
    „Klar, Herr Rat.“ Da hatte es noch gegenseitigen Respekt gegeben. Nach den ersten Vernehmungen, in denen er die Wahrheit erzählte, die sie ihm nicht glaubten, nicht mehr, sonst hätten sie ihn gleich zu den Irren gesperrt, nach Ochsenzoll.
    „Ich werde Sie ab und an besuchen, Pierre, wenn ich darf?“
     
    „Lassen Sie mich bloß in Ruhe, ich habe mich so was von in Ihnen g e täuscht. Lassen Sie mich bloß in Ruhe ...“
    Er war sauer auf sich selbst, auf die Welt; hätten die doch wissen mü s sen, dass er unschuldig war. Und überhaupt: Wo war Gott?
     
    Gott war unbemerkt in ihm, im ewigen Halbdunkel der Psychiatrie. Dort in Ochsenzoll, an einem Ort, der sich wegen ständigen Licht- und Luf t mangels seiner Hässlichkeit nicht zu schämen brauchte. Seit einem halben Jahr nun war Pierre in diese Hoffnungslosigkeit gepfercht. Der Krimina l rat besuchte ihn kein einziges Mal. Doch gerade das war gut so, hätte doch er dessen geschniegeltes Wesen nicht mehr ertragen. Nicht hier, auch ni r gendwo sonst.
     
    In den letzten Wochen hatten sich irgendwelche scheiß Situationen durch Neuzugänge gehäuft. Hatten sie die extra geschickt, um ihn mürbe zu machen? Denn die Tunten waren extra tuntig aggressiv, die Machos schlagend viriler als sonst und jedes eben noch ernste Gespräch ging in Geschrei und Prügelei über. Auch an flachen Witzen über alles oder jeden herrschte kein Mangel. Und nicht mal Zombies fehlten, Menschenfresser, die Szenen an der Ekelgrenze vorführten. Einer kotzte Blut, ein anderer leckte es auf. Wieder einer fing auf dem Spazierhof eine Ratte und ließ sich von der öffentlich in den Penis beißen. Die Wunde wurde mit einer Fischgräte und Zwirn gleich von einem anderen genäht. Kaum danach triumphierte derjenige über jeden Stich und was er so aushalten könnte und packte der Schau wegen seinen Schwanz aus, wenn jemand irgende t was dafür bot, um dann endlich, am Ende des Parkspaziergangs, der Ratte den Kopf abzubeißen und ihn hinunterzuschlucken. Den Restkadaver warf er unter dem Gegröle der anderen über die Mauer.
    Ein anderer war blind. Der lebte als Mann wie Frau, als Hure, als Schwanz im Naturzustand. Der zeigte für Geld, Kaffee oder Schnaps seine leeren, blutigen Augenhöhlen, seinen ständig erigierten Penis, die Siliko n brüste; der war die Attraktion hier, dachte er, und war doch nur ein armes Würstchen unter vielen.
     
    Pierre hasste diese Menschen, diesen Hirngestank, den Abfall an G e danken, durch den in ihm wieder und wieder eine diffuse Bedrohung en t stand. Wann wurde er einem von denen zur Ratte? Als ob es nicht allemal reichte, dass er mit sich selber war, er, dieser unschuldig schuldige Mensch im isolierten Raum. Diese ewige Selbstzerfleischung, unterdrückt und eingeschläfert im Zwielicht von Tabletten und Spritzen, die sie ihm mit Gewalt verabreichten. Ja, die konnten nichts, rein gar nichts daran ändern, was er war. Er, Wolf in Lammzeit, Lamm in Wolfszeit. Und was, wenn er hier rauskäme? Wenn das Wunder geschähe oder die Gericht s mediziner ihre Arbeit endlich getan hatten? Er müsste besonders die Fin s ternisse der Welt hier drinnen vergessen können, gut vergessen können. Müsste das Töten und Sich-Töten vergessen können. Denn das Gegenteil wollten die hier; sie wollten ihn nachdenkend schlachtreif machen, an die Opferbank bringen, egal wofür. Nein, um Gottes Willen, nicht auf einen Schlag, nein, nein, sondern nach und nach, das ganze restliche Leben über und das mit aller Gemeinheit, die ihnen einfiel. Mit Mord und To t schlag in sich selbst, Lug und Trug. Und , ob es gelang oder
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