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Aufgelaufen

Aufgelaufen

Titel: Aufgelaufen
Autoren: Michael Koehn
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abschließend er, im M ü ßiggang, doch immer neu besiegt durch die Entschlossenheit des Daseins.
     
    Die Lähmung überwindend ging er zum Hafen. Die Reporter würden schon warten. Die Polizei mit Haftbefehl; in ihren Händen diesen grässl i chen roten Lappen, ausgestellt von einem ihn hassenden Richter. Mörder würde darauf stehen, Doppelmörder! Und wenn schon. Längst angeno m men hatte er sich, vorbereitet auf die Haftzeit, war er überraschend furch t los darüber geblieben. Es war so, weil er wollte, dass es so war. Am Schiff angekommen, nirgends Reporter, keine Polizei, nur der Typ mit Kennze i chen aus Hamburg.
     
    „Sie haben mich ganz schön nach weißem Sand geschickt!“, war der empört.
    „Wie das Leben so spielt. Man trifft sich immer zweimal.“
    „Wo ist denn nun der Mörder?“
    „Sehen Sie hier einen?“
    „Nein. “
    „Dann ist er abgereist.“
    „Abgereist? Der sollte in den Knast!“
    „Vielleicht ist er schon drin?“
    „Das kann sein, aber dann bin ich wohl zu spät?“
    „Das kann wahrhaftig sein!“
    „Wissen Sie, wo man hier was V ernünftiges essen kann?“
    „Klar, in Gartow.“
    „In Gartow? Ist das nicht da, wo wir herkommen?“
    „Genau.“
    „Na dann, ich hab Hunger. Alles Gute!“
    „Danke, Ihnen auch!“
     
    Vom Wasser abgelöster Nebel, der als lichter Vorhang trieb, dahinter der Kahn in Schwarz mit Weiß. Abstraktion in Rauch, an einem warmen Nachsommertag sündloser Gefühle, denen von Tod, Transzendenz, U n sterblichkeit, Freude, Schmerz und Isolation. Und zu allem jetzt immense Angst.
    Er betrat den Kahn. An der Kombüsentür Reste von ehemals roten Si e geln. Drinnen lagen seine Klamotten in Fetzen; es stank vom Herd her, auf dem sich Kühlschrankinhalt türmte. Die Wodkaflasche dagegen war unberührt. Er trank. Es dauerte keine Stunde, bis sie da waren, fünf Mä n ner in Grau, der Dorfpolizist.
    „Packen Sie zusammen, Sie wissen sicher, was Sie brauchen.“
    „Ja, ja, ja, Knasti bleibt Knasti!“, höhnte der Dorfsheriff aus dem Hi n tergrund, und wie Pierre sehen konnte, steckte dessen Hand in der Hose n tasche und er spielte an seinem Ding.
    „Halt einfach dein blödes Maul, Manfred, und spiel weiter Taschenbi l lard!“
    „Vorsicht, Vorsicht, Pierre!“, kreischte der. Und zu einem der Grauen gewandt: „Haben Sie das gehört, Herr Kriminalrat?“
    „Er hat Recht. Halten Sie einfach das Maul!“
    Der Dorfpolizist stotterte etwas das wie „Jawoll“ klang, setzte dann noch einmal mit „war doch ’ne Beamtenbeleidigung“ , oder so , nach, ohne dass jemand reagierte hätte. Sein Gesichtsausdruck dabei so unglaublich angekotzt, so stier und feist, so, als ob irgendwo wer in dieser verpissten Welt sträflicherweise ein Fenster hatte offen stehen lassen, um ihn gla u ben zu machen, es sei eine Busentführung, eine Botschaftsbesetzung, eine Geiselnahme. Und dann wurde das Fenst er geschlossen und nichts blieb als Enttäuschung. Denn es ging lediglich um die Festnahme eines unb e waffneten Täters. Keine Kameras, keine Schießerei, nicht wie tausendfach im Fernsehen gesehen, nur ein Standardeinsatz. Trotzdem wusste Pierre, dass sich Manfred die Gelegenheit nicht entgehen lassen würde, der würde heroisch einschreiten, in seinem schwersten Einsatz überhaupt. Mit einem Eifer, in dem sich die Momente seines Selbstwertgefühls ehrfurchtsvoll speisen ließen; sozusagen der Einbruch ins innerste Ich, dass sich schon im Lächeln seiner feiste n Backen zeigte, das ihm aber auch sogleich die Füße wegzog. Diese wenigen Sekunden und Minuten in der großen Welt des Verbrechens, in Glorie und Heldentum, die ihn fremdbestimmten und danach wieder nichts. Damit musste man fertig werden; damit musste jeder erst mal fertig werden. Keiner wusste das besser als Pierre.
     
    „Gerne!“ sagte Manfred schließlich ungefragt.
    Der Kriminalrat drehte sich zu ihm um, fragte: „Ist was?“
    „Nein!“
     
    Manfred würde auch schießen, das hatte er oft genug in der Kneipe g e sagt , und alle hatten dazu genickt; natürlich nur in Notwehr und korrekt. Es könnte ein furchtbarer Moment werden, aber auch ein erfolgreicher. Und schon oft hatte er sich am Stammtisch so postiert wie jetzt, und war abgeklärt und so weiter. Sowas ginge in ihm unmerklich, sagte er immer. Unbemerkt, ohne Lärm und Gebrüll. Mit Absicht oder auch ohne. Wer sollte und wollte das später wissen?
     
    Zugriffe solcher Art, die Festnahme ohne Begrüßung, die erledigte er wie ferngesteuert. Jetzt
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