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Aufgeflogen - Roman

Aufgeflogen - Roman

Titel: Aufgeflogen - Roman
Autoren: dtv
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verwundert sein Blick.
    Als könnte er es selbst nicht glauben, was ihm da zugestoßen war.
    Isabel hatte noch nie einen toten Menschen gesehen.
    Dennoch war sie sicher: Kröger ist tot.
    Vielleicht im Suff die Treppe hinuntergefallen.
    Vielleicht eine heftige Auseinandersetzung.
    Vielleicht aber hat ihn auch jemand umgebracht.
    Es gibt genug Menschen, die Kröger hassen. Sie, Isabel, ist eine davon.
    Sie muss weg, so schnell wie möglich.
     
    Sie fahren ewig durch die Nacht, vorbei am Köpenicker Schloss, immer weiter hinaus aus der Stadt nach Osten, Richtung Erkner. Die Straßen sind jetzt leer, es hat leicht zu nieseln angefangen, ein nasser, kühler Oktober.
    Sie frieren beide. Christoph spürt, wie Isabel zittert. Irgendwann schlingt sie die Arme um seinen Körper und kuschelt sich an ihn.
     
    Er fährt zu schnell und weiß, er sollte es nicht tun. Er muss sehr vorsichtig sein. Ihr zuliebe. Es geht um viel. Eigentlich um alles.
    Sie dürfen nicht auffallen.
    Eine Polizeikontrolle wäre das Ende.
    Isabel würde abgeschoben. Sie hat keine Papiere.
     
    Er biegt ab auf einen Feldweg, hofft selbst, dass es der richtige ist. Er war lange nicht mehr in dieser Gegend. Aber es kann nicht mehr weit sein. Er hofft inständig, dass er das Ziel auf Anhieb findet.
     
    »Wo sind wir hier?«, fragt Isabel, als sie vom Roller absteigen.
    Wald um sie herum, das Plätschern verrät, dass sie in der Nähe eines Sees oder Flusses sind.
    »Freunde meiner Eltern haben hier ein kleines Wochenendhaus«, antwortet Christoph nur und sucht in der Regenrinne des Häuschens nach dem Schlüssel. Da war er immer   – da ist er auch jetzt.
    Erleichtert atmet er auf. Keine Ahnung, ob er die Tür anders aufbekommen hätte, auch wenn es nur ein einfaches Schloss ist.
    »Bist du sicher, dass sie nicht kommen?«
    »Sie sind auf den Kanaren. Hat mir meine Mutter erzählt.«
    Er grinst schief und streicht nervös eine Strähne zurück, die ihm ständig in die Stirn fällt.
    »Hier seid ihr erst mal sicher.«
    Isabel nickt. Sie folgt ihm ins Haus.
    Tisch, Stühle, Schrank, Kochzeile, Holzofen. Klein, gemütlich, gepflegt.
    »Die Betten sind oben«, sagt Christoph.
    »Warst du schon öfter hier?«
    Er nickt: »Als ich noch kleiner war, haben wir die Reichardts manchmal am Wochenende besucht. Sie haben einen Sohn, ein bisschen älter als ich. Ein ziemlicher Idiot.«
    Erinnerungen kommen in ihm hoch. An diesen Julian, der ihm drohte. Ihn schlug, ihn schikanierte. Er mag dieses Haus nicht. Aber jetzt ist es gerade richtig. Wenigstens fast.
    »Wir können leider nicht heizen, sonst sieht man den Rauch.«
    Isabel zittert immer noch. Er nimmt sie in den Arm.
    »Holst du Mama?«
    Christoph nickt. Falscher Zeitpunkt für Romantik.
     
    Eugenia wartet in Köpenick am Ende der Langen Brücke, gleich beim Schloss. Sie steht so, dass man sie aus einem vorbeifahrenden Auto nicht sofort sehen kann.Fußgänger sind um diese Zeit ohnehin nicht unterwegs. Unauffällig sein, das hat sie gelernt. Christoph braucht eine Weile, bis er sie entdeckt.
    »Alles okay?«, fragt er besorgt.
    »Der Nachtbus war fast leer. Und hier hat auch niemand auf mich geachtet.«
    Christoph nimmt ihre Tasche, sieht sie fragend an.
    »Hast du nicht mehr Gepäck?«
    »Ich dachte, so falle ich weniger auf, und die Sachen passen auch auf deinen Roller.«
    Wer sich verstecken muss, wer auf der Flucht ist, der hat nicht viel dabei.
     
    Als sie in das Wochenendhäuschen kommen, sitzt Isabel so auf dem Stuhl, wie Christoph sie zurückgelassen hat. Die Arme auf dem Tisch, der Kopf liegt darauf. Fast könnte man denken, sie schläft. Doch sie weint.
     
    Eugenia inspiziert das Haus.
    »Es ist einfach, aber gut. Doch wir dürfen nicht zu viele Spuren hinterlassen.«
    »Jetzt seid ihr erst mal da, alles andere kommt später.«
    Sie schüttelt den Kopf.
    »Nichts auspacken. Vielleicht müssen wir schnell weg   – und dann sollen sie wenig finden, was auf uns hinweist.«
    Ihr schönes Deutsch, der leichte Akzent. Isabel hat diesen Akzent nicht mehr. Ihr Deutsch ist das eines Menschen, der immer hier gelebt hat.
    Fast immer. Wenn auch ohne Ausweis.
     
    Gemeinsam machen sie einen Plan.
    Eine Einkaufsliste. Fertigmahlzeiten, Obst, Gemüse, Brot, Käse. Nur kein Aufwand.
    Zahnbürsten, Zahnpasta, Seife. Denn Eugenia hat in der Eile die Sachen aus dem Bad vergessen.
    Bettzeug und Handtücher werden sie von ihren unfreiwilligen Gastgebern ausleihen. Ebenso das Geschirr.
    Ansonsten: stillhalten. In der
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