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Aufgeflogen - Roman

Aufgeflogen - Roman

Titel: Aufgeflogen - Roman
Autoren: dtv
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mir, und ich kapierte auf Anhieb gar nicht, von wem er sprach. Denn für mich gehörte Isabel längst zu meinem Leben dazu, weil ich ständig an sie dachte. Ich wusste zwar nichts von ihr, aber ich hatte mir vieles einfach so zusammengereimt, Schlüsse gezogen aus ihrer Art, sich zu kleiden oder zu reden. Immer wieder hatte ich beschlossen, sie zu ignorieren. Ich hatte ja gesehen, wie alle nacheinander daran gescheitert waren, zu ihr Kontakt aufzunehmen. Ichwollte mir keine Abfuhr holen. Es hätte mich mehr getroffen als jedes andere ›Nein‹ in meinem Leben. Doch schon längst hatte ich mir in meinen Gedanken meine eigene Isabella gebastelt:
    Eine verschlossene junge Frau, die nur darauf wartete, dass sie sich jemandem gegenüber öffnen konnte.
    Die immer faszinierender wurde, je näher man sie kennenlernte.
    Die so viel vom Leben wusste und doch in manchen Dingen so ahnungslos war.
    Die ein Geheimnis aus ihrem Leben machte, weil es ein großes Geheimnis gab.
    Die Hilfe brauchte, aber sie nicht annehmen konnte.
    Ich wollte ihr Retter sein.
    So weit meine Fantasie. Ich lag nicht so ganz falsch, aber das merkte ich erst später.
     
    »Ich glaube nicht, dass Isabel bei mir Nachhilfe nehmen will«, sagte ich zu Albrecht, weil ich einfach Schiss hatte, aber zugleich freute ich mich über diese Chance.
    »Ich weiß, sie ist schüchtern. Aber sie muss einiges nachholen. Und Sie können ihr das erklären.«
    Tatsächlich hatte ich eine Zeit lang ziemlich viele Schüler gehabt, um mir Geld für den Führerschein zu verdienen. Meine Eltern wollten nur einen Zuschuss zahlen, aus pädagogischen Gründen, versteht sich. Damit ich lernte, was die Dinge wert wären.
     
    Sie wollte nicht zu mir nach Hause kommen. Sie wollte aber auch nicht, dass ich zu ihr komme. Sie war gegen ein Treffen im Café.
    »Hier in der Schule«, sagte sie und so saß ich noch ein paar Stunden mehr in diesem muffigen Kasten.
    Albrecht hätte nicht sagen müssen, dass sie wenig Geld hatte. Das war so was von klar: ihre Klamotten, ihre Tasche, ihr Fahrrad. Noch nie hatte ich gesehen, dass sie Geld ausgab, nicht mal in der Pause am Kiosk. Ich schraubte also mein Honorar runter. Trotzdem sah ich, dass ich für sie zu teuer war. Ich schlug ihr vor, mir umgekehrt in Englisch zu helfen. Sie war einverstanden, fast erleichtert. Und ich war zufrieden: Wir würden noch mehr Zeit miteinander verbringen.
     
    Isabel lernte schnell, sie war konzentriert und fleißig. Viel zu fleißig, fand ich. Sie ignorierte meine Witze, die ich zur Auflockerung einflocht. Sie war nur an Mathematik interessiert, so schien es. Ich betonte immer wieder, wie wichtig ihre Hilfe in Englisch für mich war. Ich war gar nicht so schlecht gewesen bisher. Aber das hatte sie offenbar nicht mitgekriegt. Oder sie ignorierte es, weil ihre Nachhilfe die einzige Möglichkeit war, für meine nicht zahlen zu müssen.
     
    Anfangs saßen wir uns gegenüber. Aber irgendwann setzte ich mich neben sie, weil ich es satthatte, alles umgedreht zu entziffern. Wenn sie auf Distanz bedachtwar, okay. Aber man musste es ja nicht übertreiben.
     
    Die anderen in der Klasse betrachteten uns mit Neugier. Sagten aber nichts, fragten nichts. Selbst Ben dachte, da würde was laufen. Dabei war ich nur ihr Mathelexikon.
    Irgendwann hielt Ben es nicht mehr aus.
    »Wie ist sie denn so?«
    »Nett, aber mehr ist da nicht.«
    »Ihr redet doch nicht nur über Mathe.«
    »Auch über Physik, gelegentlich.«
    »Sehr witzig.«
    »Ehrlich, Ben. Sie lässt sich das Zeug erklären, sie kapiert’s, dann macht sie die Aufgaben und das war’s.«
    »Du verpasst deine Chance, Alter«, sagte Ben.
     
    Fast hätte ich es an diesem Nachmittag versucht. Gemeinsam beugten wir uns über eine Aufgabe, unsere Köpfe berührten sich beinahe. Ich roch ihr Shampoo, ich sah den feinen Flaum an ihren Unterarmen. Als sie ihren Kopf zu mir wandte, da war sie mir so nah, dass ich fast erschrak.
    Sonst war ich nicht schüchtern. Aber offenbar wusste ich nicht mehr, wie man mit einem Mädchen umgeht. Wenn mir allerdings jemand gesagt hätte, ich wäre verliebt, ich hätte es sofort abgestritten.
     
    Der Mathetest war ein voller Erfolg. Sie schrieb eine Zwei. Genau wie ich. In der Pause kam sie auf mich zu, was sie sonst nie tat.
    »Heute fällt die Nachhilfestunde aus«, verkündete sie. »Ich lade dich ins Café ein.«
    Der leichte, federnde Schritt, mit dem ich zurück ins Klassenzimmer ging, war mir selbst neu. In den Schnulzen, die meine Oma
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