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Auferstehung 1. Band

Auferstehung 1. Band

Titel: Auferstehung 1. Band
Autoren: Leo N. Tolstoi
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die Botschkoff fortgebracht, abgeholt, um sie den beiden Soldaten zu übergeben, die sie am Morgen hergebracht. Als sie dann das Justizgebäude verließ, hatte sie gleich einem der Soldaten die fünfzig Kopeken gegeben und ihn gebeten, ihr Zigaretten, zwei kleine Brote und eine halbe Flasche zu kaufen.
    Der Soldat hatte zu lachen angefangen und gesagt: »Na, du leistest dir aber was Ordentliches!«Thatsächlich hatte er die Zigaretten und die kleinen Brötchen gekauft, doch den Schnaps wollte er ihr nicht kaufen. Die Maslow aß eins der Brote auf dem Wege, doch dadurch war sie nur noch hungriger geworden.
    Erst nach Sonnenuntergang war sie ins Gefängnis gekommen, und auch da hatte sie noch lange im Flur warten müssen, weil in demselben Augenblick Wärter einen Zug von hundert Gefangenen anbrachten, der aus einer Nachbarstadt hierher überführt worden war.
    Es waren darunter rasierte Männer und solche mit langen Bärten, alte und junge Russen und Ausländer. Einigen war der halbe Kopf geschoren, und sie trugen Eisen an den Füßen. Alle aber hatten die Maslow, als sie an ihr vorüberkamen, mit lüsternen Augen angesehen, und mehrere hatten ihr mit begehrlich flammendem Gesicht zugelächelt, waren an sie herangetreten und hatten sie in die Taille gekniffen.
    »He, he, he! ein hübsches Mädel! Das ist sicherlich 'ne Moskauer Pflanze!« hatte der eine gesagt.
    »Mein Fräulein, alle Hochachtung!« meinte ein anderer augenblinzelnd.
    Einer, dessen Vorderkopf rasiert war und der einen ungeheuren Schnurrbart trug, hatte die Vertraulichkeit so weit getrieben, daß er sie umarmte.
    »Na, na, ziere dich nur nicht so!« hatte er gesagt, als sie ihn zurückstieß.
    »Heda, du Schwein, was thust du da?« rief ein Aufseher, der plötzlich aus dem Gefängnisbureau kam.
    Der Sträfling trat, am ganzen Leibe zitternd, sofort zurück, und nun wandte sich der Aufseher zur Maslow:
    »Und was hast du hier zu suchen?«
    Die Maslow wollte antworten, sie käme aus dem Schwurgerichtssaale; doch sie war so abgespannt, daß sie nicht einmal die Kraft zum Sprechen hatte.
    »Sie kommt vom Gericht her, Herr Aufseher,« antwortete einer der Soldaten, indem er die Hand an die Mütze legte.
    »Dann führen Sie sie dem Oberaufseher vor! aber schleunigst!«
    Der Oberaufseher übernahm die Gefangene, rütteltesie am Arm, um sie aufzuwecken, und führte sie huldvollst selbst durch die langen Gänge zu dem Saal, den sie am Morgen verlassen hatte.
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    Dieser Saal war ein großes, neun Arschin langes und sieben Arschin breites Zimmer mit zwei Fenstern; es war nur mit einem alten, vollständig verfallenen Ofen und zwanzig aus schlecht zusammengefügten Brettern hergestellten Betten ausgestattet, die zwei Drittel des Raumes einnahmen. An der Wand hing der Thür gegenüber ein altes, mit einer Schmutzkruste überzogenes Heiligenbild, vor welchem eine Kerze brannte und unter dem ein Immortellenkranz hing. Hinter der Thür links stand ein großer Nachteimer.
    Man hatte eben die Abendmusterung vorgenommen und die Gefangenen für die Nacht eingeschlossen.
    Der Saal wurde von fünfzehn Personen bewohnt: zwölf Frauen und drei Kindern.
    Es war noch hell, und nur zwei Frauen lagen im Bette. Die eine, welche schlief und den Kopf mit einem Mantel bedeckt hatte, war eine wegen Landstreicherei eingesperrte Wirtin, die den ganzen Tag schlief. Die andere, die wegen Diebstahls verurteilt worden, war schwindsüchtig. Sie schlief nicht, blieb aber mit weit aufgerissenen Augen und den Kopf auf ihren zum Kopfkissen gefalteten Mantel gebettet, liegen. Um nicht zu husten, hielt sie mühsam in ihrer Kehle den Speichel zurück, der über ihre Lippen sickerte.
    Von den anderen Frauen, von denen die Mehrzahl nur in grobe Leinenhemden gekleidet war, standen sieben, in zwei Gruppen geteilt, an den Fenstern und sahen dem Vorbeimarsch der Gefangenen im Hofe zu. An einem Fenster stand in einer Gruppe von drei Personen die Alte, die mit der Maslow am Morgen durch das Guckfenster in der Thür gesprochen hatte. Man nannte sie die Korablewa. Das war ein Geschöpf mit brummiger Miene, dichten, zusammengewachsenen Augenbrauen, Hautfalten, die unter dem Kinn herabhingen, spärlichen, an den Schläfen ins Graue schimmernden Haaren und einer ganz mit Haaren bewachsenen Warze auf der Wange, außerdem war sie groß, stark und kräftig gebaut. Dieses Weibwar zu Gefängnisstrafe verurteilt worden, weil sie ihren Mann ermordet, den sie eines Tages bei der Vergewaltigung seiner Tochter
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