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Auf fremdem Land - Roman

Auf fremdem Land - Roman

Titel: Auf fremdem Land - Roman
Autoren: Luchterhand
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Gebiet mit unmittelbarer Wirkung in Kraft, was ebenso für das Betreten einer Person oder das Hineinbringen von Habe in das deklarierte Gebiet zum Zwecke der Ausführung baulicher Tätigkeiten gilt.
    Der Befehl trug die Unterschrift des Befehlshabers des Zentralkommandos, und beigefügt war eine Karte, die das eingegrenzte Areal zeigte – ganz Ma’aleh Chermesch 3 mitsamt seinen Gebäuden und landwirtschaftlichen Flächen.
    Otniel hörte zu lesen auf und schenkte Omer einen feindseligen Blick. »Was für Korachs ihr seid. Na gut. Wir werden bei der militärischen Einspruchskommission Widerspruch einlegen müssen, und wenn das nichts nützt, an den Obersten Gerichtshof appellieren, und wenn wir dort verlieren, warten wir zwei Jahre, bis die Gültigkeit des Befehls, mit Hilfe des Herrn, abgelaufen ist. Und ihr werdet uns schließlich keinesfalls mit Gewalt evakuieren, ist doch so?« Er suchte nach dem Anflug eines Lächelns oder einem Ausdruck von Sympathie in Omers Gesicht, doch er fand nichts dergleichen.
    Stattdessen lag Neugier in seinen Augen, als er vorsichtig die Frage äußerte: »Was sind Korachs?«
    Otniel holte Luft und stieß sie mit einem tiefen Seufzer wieder aus. »Das sind aggressive Nichtsnutze«, schnaubte er und tippte die Nummer des Gemeinderatsvorsitzenden in sein Telefon ein.
    »Viel Erfolg und Schabbat schalom«, entgegnete der Kommandeur, gab seinem Fahrer ein Zeichen, den Motor anzulassen und stieg in den Jeep. Er hielt am Tor neben dem Soldaten. »Joni, nimm die, und sag deinen Soldaten, sie sollen sie heute Abend an jedes Gebäude im Stützpunkt hängen«, sagte er und reichte ihm einen Stapel Blätter mit der Bekanntmachung.
    Er erlaubte dem amerikanischen Journalisten, der am Eingang den Daumen hob, in das Fahrzeug einzusteigen, und verschwand den Hang hinunter, in das verlöschende Zwielicht des Sonnenuntergangs und den Wind. Der Soldat Joni ließ seinen Blick von dem davonrollenden Jeep zu den Blättern in seiner Hand gleiten und schloss das Tor.
    Die Brüder
    Roni Kupfer war bei der Einweihungszeremonie der Spielplatzanlage nicht anwesend. Als Otniel Asis ihn neben dem Wohnwagen von »dem einzigen Gavriel in der Siedlung« absetzte, wuchtete er seinen Koffer aus dem Kofferraum und rollte ihn auf dem maroden Asphalt die wenigen Meter weit bis zu dem Wohnwagen. Er passierte das Hoftor, den gelbstichigen Garten und erreichte die Tür, in deren Mitte ein bescheidenes Schild grüßte: »Willkommen«. Die Tür war nicht abgesperrt. »Gabi? Gabi?«, rief er und schaute sich in den Räumen des Wohnwagens um. Roni schnüffelte – in der Luft lag ein eigenartiger, muffiger Geruch. Seine Augen wurden von einem schwarzen Fleck in der Ecke angezogen. Er rollte den Koffer in den rechten Raum, der nach Wohnzimmer aussah, und legte sich rücklings auf die erhöhte Matratze, die als Sofa diente. Er schaute an die Decke und blies einen unsichtbaren Luftstrom aus, schloss die Augen und öffnete sie wieder. Er wandte seinen Blick dem schlichten Bücherregal zu, ließ ihn über die Bücherrücken gleiten, las nacheinander die Titel – religiöse Schriften mit rotem Einband, von denen Roni absolut nichts verstand: der Sohar , der Schulchan Aruch , Sammlungen rabbinischer Schriften, Maimonides’ Wegweiser für die Verwirrten , diverse Mischnatraktate. »Gabi?!«, schrie er, bildete sich ein, etwas gehört zu haben, doch er erhielt keine Antwort.
    Gavriel war bei der Einweihung der Spielplatzanlage, von dort zog er weiter zum Nachmittagsgebet in der Synagoge, und anschließend blieb er mit allen anderen beieinander, um zu plaudern. Dann erst kehrte er nach Hause zurück und entdeckte zu seiner Überraschung den großen Koffer, der ein Viertel des Wohnzimmerbodens einnahm, und seinen laut schnarchenden älteren Bruder rücklings auf dem Sofa, auf seinem zur Decke gerichteten Gesicht den gleichmütigen Ausdruck eines Fischs. Gabi betrachtete seinen Bruder. Die Brust, die sich hob und senkte, die Lippen, die mit jedem Schnarcher erzitterten. Seine vollkommen ruhig auf der Brust verschränkten Hände, die breiten Füße, die in ehemals weißen Sportsocken steckten, deren Fersen bis zur Fadenscheinigkeit durchgescheuert waren. Sein Blick wanderte zurück zu dem großen Koffer. Roni, mein Bruder. Er lächelte ihn an, zog die Nase hoch. Roni antwortete mit einem Schnarcher.
    Gabi ging in die Küche, um Tee zu kochen. Er schaltete das Licht an. Danach würde er ein Abendessen für sie zubereiten und anschließend
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