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Auf der Suche nach dem Auge von Naga: Roman (German Edition)

Auf der Suche nach dem Auge von Naga: Roman (German Edition)

Titel: Auf der Suche nach dem Auge von Naga: Roman (German Edition)
Autoren: Mark Hodder
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Hellseherin sackte schlaff zu Boden.
    Ein Blitz weißen Lichts zuckte.
    *
    Sir Richard Francis Burton erinnerte sich an seine Jugend und seinen ersten Besuch in London. Er war schon früher in der Stadt gewesen   – im Alter von acht Jahren hatte er in Richmond die Schule besucht   –, aber diesmal war er neunzehn, kam aus Italien, um sich am Trinity College in Oxford einzuschreiben, und besaß hochtrabende Ideen und einen schier unerschöpflichen Vorrat an Selbstwertgefühl.
    Wie es bei Erinnerungen so oft der Fall ist, wurden sie von seinem Geruchssinn heraufbeschworen. In seine Nase drangen der kiesige Kohlenstoffgeruch von Ruß, der faulige Gestank der Themse sowie die abgestandenen Aromen von ungewaschenen Kleidern und Körpern. Doch all das trat hinter den durchdringenden Geruch von Gras zurück.
    Gras?
    Er schlug die Augen auf. Er lag mit dem Gesicht nach unten in hohem Gras am Rand eines Dickichts von Bäumen. Ein Mann war gerade daraus hervorgekommen. Er hatte Burton nicht bemerkt und bewegte sich einen Hang hinunter. Der Entdecker hörte ihn murmeln: »Ganz ruhig, Edward. Einfach durchhalten. Nicht zulassen, dass es dich überwältigt. Das hier ist weder ein Traum noch eine Illusion, also konzentrier dich, bring die Sache zu Ende, und lauf zurück zu deinem Anzug!«
    Bismillah! Das ist Edward Oxford!
    Der Agent des Königs kam zu spät! Burton hatte nicht damit gerechnet, das Bewusstsein zu verlieren. Er hatte vorgehabt, den Besucher aus der Zukunft zwischen den Bäumen zu erschießen und sich dann schleunigst davonzumachen.
    Was nun?
    Burton stemmte sich auf die Knie und schrie beinah auf, als seine Rippen aneinanderschabten. Er griff nach seinem Gewehr, der Schmuckkassette und dem Koffer   – die allesamt neben ihm im Gras lagen   –, hob die Gegenstände auf und kroch in das Dickicht. Er fand eine geeignete Stelle, legte sich flach hin, biss die Zähne gegen die Schmerzen zusammen und zog sich behutsam vorwärts, bis er unter einem Busch versteckt war. Der Entdecker blickte auf den Green Park.
    Tick, tick, tick.
    Er konnte fühlen, wie John Spekes Babbage ablief. Der schwarze Diamantenstaub in seiner Tätowierung war irgendwie über die Jahrzehnte hinweg damit verbunden.
    Burton stützte sich auf die Ellbogen, nahm das Gewehr in die Hände und blickte auf die Inschrift am Schaft.
    1918!
    Er war fünfundfünfzig Jahre in der Zukunft gewesen, nun befand er sich vierundzwanzig Jahre in der Vergangenheit.
    Der Agent des Königs schüttelte leicht den Kopf und versuchte, das eigenartige Gefühl der Zerrissenheit zu vertreiben, das im Hintergrund seines Geistes lauerte   – das Gefühl, zweigetrennte Identitäten zu besitzen. Aber natürlich war dies der 10. Juni 1840, und es gab Burton tatsächlich zweimal, denn sein deutlich jüngeres Ich reiste gerade durch Europa.
    Wenn dieser rechthaberische und arrogante Jungspund nur wüsste, was das Leben für ihn bereithielt!
    Burton flüsterte: »Die Zeit hat mich verändert, dem Himmel sei Dank.«
    Er spähte durch das Zielfernrohr des Gewehrs.
    »Die Frage ist nur: Kann ich den Gefallen erwidern?«
    Der bewaldete Bereich, in dem er sich verbarg, bedeckte die Kuppe eines niedrigen, den Park überblickenden Hügels. An dessen Fuß hatten sich Menschen beiderseits eines Weges eingefunden. Es war ein milder Tag. Die Herren trugen leichte Jacken, Zylinder und Spazierstöcke. Die Damen schmückten sich mit Schutenhüten, zarten Handschuhen und Sonnenschirmen. Alle warteten darauf, Königin Victoria in ihrer Kutsche vorbeifahren zu sehen. Burton richtete das Fadenkreuz auf eine Person nach der anderen. Wer davon war der Mann, den er vor wenigen Augenblicken gesehen hatte? Und wo steckte der Vorfahre des Mannes, der wahnsinnige Achtzehnjährige mit den zwei Steinschlosspistolen unter dem Bratenrock?
    »Verdammt!«, stieß Burton mit einem leisen Stöhnen hervor. Seine Hände zitterten.
    Der Agent des Königs ging seine Möglichkeiten durch. Er wusste, dass der Attentäter zwei Schüsse auf die Königin abfeuern würde. Der erste würde sie verfehlen. Das sollte der zweite an sich auch tun, aber Edward Oxford würde seinen Vorfahren angreifen und dadurch versehentlich bewirken, dass jene zweite Kugel Victoria in den Kopf träfe.
    Wenn der Entdecker Oxford zu früh tötete, würde die Menge nach dem Mörder suchen und dadurch unter Umständen eine Ablenkung schaffen, die es dem Attentäter ermöglichte, mit größerer Genauigkeit zu zielen. Also musste er bis nach
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