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Auf den ersten Blick

Auf den ersten Blick

Titel: Auf den ersten Blick
Autoren: D Wallace
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an. Und da war sie. Schwebte im …siebenten Himmel.
    Halt, hatte ich gedacht. Es reicht. Steh auf und geh duschen.
    Also klickte ich ihre Fotos an.
    Sie war in Andorra. Mit Gary. Schwebte im siebenten Himmel.
    Ich klappte das Notebook zu.
    War es ihr denn egal, ob ich das sah? War ihr denn nicht klar, dass es direkt auf meinem Bildschirm landen würde, direkt in meiner Magengrube? Diese Fotos … diese Schnapp schüsse … aus einer Perspektive aufgenommen, die einmal meine gewesen war. Heute halte nicht mehr ich die Kamera. Fange nicht mehr ich die Augenblicke ein. Diese Erinnerungen sind nicht meine. Also will ich sie auch nicht. Ich will sie nicht braun gebrannt und glücklich und ärmellos sehen. Ich will sie nicht gegenüber am Tisch sehen, mit einem Cocktail und selig verliebtem Blick. Ich will nicht nach den sinnlosen, verletzenden Details suchen – sie hatten sich eine Pizza Margherita geteilt, ihre Locken leuchteten im Sonnenschein, sie trug die Kette nicht mehr, die ich ihr geschenkt hatte –, ich wollte von alledem nichts wissen. Und doch klappte ich das Notebook wieder auf und sah mir die Bilder an, studierte sie genau, sog alles in mich auf. Ich konnte nicht anders. Sarah schwebte im siebenten Himmel, und ich … nun. Was?
    Ich sah nach, was meine letzte Statusmeldung gewesen war.
    Jason Priestley … isst gerade Suppe .
    Verdammt. Was für ein Auftritt. Hey, Sarah, ich weiß, du bist gerade unterwegs und schwebst im siebenten Himmel und so, aber denk dran, dass ich erst letzten Mittwoch Suppe gegessen habe.
    Wieso löschte ich sie nicht einfach, strich sie aus meiner Gleichung, machte das Internet wieder sicher? Aus demselben Grund, aus dem immer noch ein Foto von ihr in meiner Brieftasche steckte. Dieses eine von ihrem ers ten Arbeitstag – große, blaue Augen ganz in Louis Vuitton. Ich hatte nicht die Kraft gehabt, es zu zerreißen oder in den Müll zu werfen. Das hätte sich so … endgültig angefühlt. Wie aufgeben oder irgendwas. Die Sache war allerdings: Tief in meinem Innersten wusste ich, dass sie mich löschen würde. Und dann wäre es wirklich vorbei, aber es wäre nicht meine Entscheidung, und dann wäre ich der Dumme. Andererseits hoffte ich, sie würde es nicht tun – irgendwo in ihrer großen Tasche voller Schminkzeug und Grazia und Kleenex, irgendwo in dieser Tasche hatte sie auch ein Bild von mir …
    Und, tja … da ist sie wieder, diese Hoffnung.
    Doch eines Tages wird sie grausam beiläufig zunichtegemacht, und ich werde vergessen sein, wahrscheinlich kurz bevor sie beschließt, dass sie und Gary zusammen ziehen sollten oder dass sie und Gary heiraten sollten oder dass sie und Gary einen kleinen Gary machen sollten, den sie Gary nennen würden und der ganz genau so wie der blöde Gary aussehen würde.
    Wahrscheinlich werde ich ganz allein dasitzen, wenn sie mich letzten Endes löscht. Mit einer Paddington-Decke um die Schultern, in einem grauen Zimmer über einem Videospielladen gleich neben der Bar, von der alle dachten, dort wäre ein Bordell, wo aber gar keins war. Nur so ein kurzer Gedanke, wenn überhaupt. Auf einen Bildschirm starrend, der mich darüber in Kenntnis setzt, dass ich nicht mehr von ihrem Leben besessen sein darf. Dass ich nicht mehr für würdig befunden werde, mir ihre Fotos anzusehen, zu erfahren, wer ihre Freunde sind, ob sie verkatert ist oder müde oder zu spät bei der Arbeit. Dass sie sich nicht mehr dafür interessiert, ob ich meine Suppe esse.
    Mein Leben.
    Gelöscht.
    Ein Jammertal.
    Trotzdem. Könnte schlimmer sein.
    Uns könnte das Zubr ausgehen.
    Eine Stunde später war uns das Zubr ausgegangen.
    Dev hatte The Den vorgeschlagen – einen kleinen Irish Pub neben einem Werkzeugverleih, auf halbem Weg runter nach King’s Cross –, und ich hatte »Ja, warum nicht« gesagt. Man kann nie wissen. Ich könnte im siebenten Himmel schweben.
    »Ach, komm«, sagte Dev und winkte ab. »Wer will schon nach Andorra? Was ist an Andorra denn so toll?«
    Im Hintergrund spielten die Pogues, und mittlerweile waren wir leicht betrunken.
    »Die Landschaft. Steuerfreier Einkauf. Die Tatsache, dass sie zwei Staatsoberhäupter haben – den König von Frankreich und einen spanischen Bischof.«
    Pause.
    »Du warst wohl bei Wikipedia, was?«
    Ich nickte.
    »Hat Frankreich überhaupt einen König?«, fragte Dev.
    »Dann eben Präsident. Ich weiß nicht mehr genau. Ich weiß nur noch, dass man da hinfährt, um im siebenten Himmel zu schweben. Mit einem Mann namens Gary,
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