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Auf dem Weg nach Santiago

Auf dem Weg nach Santiago

Titel: Auf dem Weg nach Santiago
Autoren: Jean-Noel Pierre / Gurgand Barret
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daher, nimmt ihn bei der Hand,
stellt ihn auf die Füße und gibt sich zu erkennen: »Ich bin Jakobus, der
Apostel Gottes !«
    Im Jahre 1456 begegnet William Rey in
La Coruña, dem Anlegeplatz der zu Schiff reisenden Pilger, einem englischen
Landsmann, der ihm seine Geschichte erzählt. Der Mann hatte sich entschlossen
gehabt, nach Compostela zu pilgern, um seine Heilung zu erflehen. In Plymouth
angekommen, erfaßt ihn beim Einschiffen Angst; er kehrt nach Hause zurück. Und
da findet er seine Gesundheit wieder — macht aufs neue kehrt und reist ab nach
Compostela, um dem heiligen Jakobus Dank zu sagen.
    Immer findet sich jemand, der einen
wunderbar Geheilten gesehen hat oder bestätigen kann, daß etwa eine »ganz
zusammengekrümmte« Frau sich plötzlich aufrichtete, eine andere, seit zwanzig
Jahren Gelähmte auf einmal wieder gehen konnte, wie jene Erbarmungswürdige, die
nur auf ihrem Gesäß fortrutschen konnte und dann mit einem Male aufstand.
    Da ist ein Franzose, der sich nicht
dareinfügen mag, kinderlos zu bleiben; er nimmt Zuflucht zum heiligen Jakobus
und begibt sich auf den weiten Weg nach Compostela. 17 Sicher ist
dieser Fall nicht selten und auch das darauf folgende Wunder nicht, denn ein
spanisches Lied, Las gracias de Santiago, spielt darauf an:
     
    Quand il revient de Compostelle
    Le mari qui n‘apoint d’enfant
    Pour peu qu ‘il soit resté longtemps
    En trouve deux en arrivant
    O grand saint Jacques, guerissez-moi!
     
    Wenn der kinderlose Gatte
    Von Compostela zurückkehrt
    Und lange genug ausgeblieben ist,
    Findet er daheim zwei Kinder vor.
    O großer Sankt Jakob, heile mich!
     
    Und das Lied zeigt auch nicht mehr
Respekt vor der Heilung eines Tauben und eines Stummen:
     
    Ils revenaient de Compostelle
    Un sourd, un muet de compagnie
    Le muet jasait comme une pie
    Le sourd pensait: ô bon grand saint
    Rebouche-moi les deux oreilles!
    O grand saint Jacques, guérissez-moi Z 18
     
    Sie kamen gemeinsam aus Compostela
zurück,
    Ein Tauber und ein Stummer.
    Der Stumme schwatzte wie eine Elster,
    Der Taube dachte: O großer gütiger
Heiliger,
    Stopf mir die Ohren wieder zu!
    O großer Sankt Jakob, heile mich!
     
    Der Liber Sancti Jacobi bestimmt
geflissentlich, daß bei den berichteten Heilungen keine Anwendung von
Latwergen, Abführmitteln, Brechmitteln oder Zugpflastern vorgekommen sein darf,
auch nicht das Verabreichen von Gegengiften oder Arzneigemischen wie Sirup,
Heiltränken und medizinischen Lösungen durch die Ärzte. Jedoch kann sich die
Macht des Heiligen vermittels eines geweihten Gegenstandes offenbaren, wie etwa
bei der folgenden Geschichte: »Im Jahre tausendeinhundertsechs nach Christi
Menschwerdung blähte sich der Hals eines Soldaten aus Apulien auf wie ein
Schlauch. Da kein Arzt ihn heilen konnte, empfahl er sein Leiden dem
gottseligen Jakobus: ›Wenn ich eines jener kleinen Kreuze fände‹, so sagte er
sich, ›die die Pilger gewöhnlich bei ihrer Rückkehr aus Santiago tragen, und damit
den kranken Hals berührte, wäre ich sofort erleichterte Man treibt ein solches
Kreuz bei einem Nachbarn auf, berührt damit den Hals, und der Soldat ist auf
der Stelle gesund. Er macht sich unverzüglich auf den Weg zum gottseligen
Jakobus von Galicien .« 19
    Neben diesen traditionellen
Wallfahrtsmotiven — Gelöbnis, Buße oder Bitte um Heilung beziehungsweise Dank
dafür — wird auch zum Vorwand oder zur Zerstreuung gepilgert.
    Als der sehr fromme König Ludwig VII. —
»mehr Mönch als König«, wie seine später von ihm geschiedene Gemahlin Eleonore
von Aquitanien bedauernd feststellte — sich 1154 nach Compostela begibt, tut er
dies nach Meinung von Don Rodrigo Ximénez de Rada, dem Erzbischof von Toledo,
weniger aus dem Verlangen, zum Apostel zu beten, als vielmehr in der Absicht,
dem Gerücht nachzugehen, seine derzeitige Frau, Königin Konstanze, sei nur die
natürliche Tochter König Alfons’ von Kastilien; 20 vielleicht darf
man aber der Anklage des spanischen Chronisten nicht unbedacht trauen. Auf
jeden Fall betrachtet sich Ludwig VII. bei seiner Rückkehr als Pilger im vollen
Sinn des Wortes.
    Auch der damals berühmteste Pariser
Buchhändler, Nicolas Flamel, pilgert 1378 sicher nicht bloß in frommer Absicht
nach Compostela. Tatsächlich sucht er in Spanien, wo so zahlreiche arabische
und jüdische Gelehrte weilen, einen Mann, der ihm ein geheimnisvolles Buch
entziffern kann, das ihm in die Hände gefallen ist; sein Verfasser ist ein Jude
namens Abraham. Gelangt
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