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Auf dem Weg nach Santiago

Auf dem Weg nach Santiago

Titel: Auf dem Weg nach Santiago
Autoren: Jean-Noel Pierre / Gurgand Barret
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die Männer auf dem Schlachtfeld, zu Roß, zu
Fuß, die sich plötzlich inmitten grimmiger Feinde allein finden.
    Zum Beispiel Hugo von Pierrefont,
Bischof von Lüttich. Er verspricht mitten im Kampf dem heiligen Jakobus einen
Besuch an dessen Grab, falls er den Sieg davonzutragen hilft. Tatsächlich siegt
Hugo, vergißt aber doch auch sein Versprechen nicht und macht sich im Dezember
1215, nach dem Abschluß des Vierten Laterankonzils, auf den Weg. 11
    Ein Notar aus Auch übernimmt auf seiner
Durchreise im Jahre 1606 das Testament eines gewissen François de Vic, Herrn
von Rieux. Dieser war 1594 aufgebrochen, »um seinem Glück nachzujagen«. Er
wurde vor Wien von den Türken gefangengenommen und zunächst in die Türkei
verkauft, wo er »genau wie die Ochsen« das Feld beackerte. Aufs neue verkauft,
und zwar diesmal an den Admiral des Großtürken, wurde er »einer bestimmten
Galeere zugewiesen, auf welcher er neun Jahre auf See verbrachte. Am Ende
dieser Zeit schenkte ihm Gott die Gnade der Befreiung. Zum Dank dafür gelobte
er, noch vor seiner Heimkehr zum heiligen Herrn Jakobus von Compostela zu
pilgern .« 12
    Der Alltag selbst beordert seine Gesandtschaften
auf die Pilgerreise. Jene etwa, die erfleht haben (und erhört wurden!), daß der
Hagel etwas weiter weg herunterschlage, das Wildwasser die Brücke nicht
davontrage, der Brand vor ihrem Strohdach haltmache, ihre Frau einen Sohn
gebäre, ihre Kuh nicht verende... So jener Jacques Lemesre, Sohn eines
Juweliers aus Lille, der gelobt, nach Compostela zu pilgern, wenn seine Mutter
gesund wird; im Jahre 1685 schifft er sich in Dünkirchen nach La Coruña ein —
wir werden ihm wieder begegnen. 13
    Natürlich schließen sich die Kranken
dem Zug an, sei es, daß sie auf ein Gelübde hin gesund
wurden, sei es, daß sie die Heilung an Ort und Stelle suchen. Reisepässe geben
davon Zeugnis; so wird 1560 in Zabern im Elsaß einem von der
Sankt-Marcellus-Krankheit (Wundbrand) befallenen Mann ein Paß ausgehändigt, 14 und 1518 erhält im gleichfalls elsässischen Schlettstadt der Kürschner Paulus
Sybenburger, der an Fallsucht leidet, einen Paß, worin er allen Herbergen und
Behörden auf dem Weg empfohlen wird. 15
    Unter die Büßer mischen sich auch
Sonderlinge, Geistesgestörte, Tobsüchtige — im 13. Jahrhundert erkennt man die
Letztgenannten an ihrem verzerrten Lachen, ihrem Zähneknirschen und bei der
Untersuchung »an ihrem hämmernden Puls und ihrem hellen Urin«. 16 Man
darf sie nicht mit den Opfern dämonischer Besessenheit verwechseln, die
zuweilen das gleiche Verhalten an den Tag legen.
    Die von der menschlichen Gemeinschaft
gemiedenen Aussätzigen leben abgesondert, sogar auf dem Pilgerweg, wo ihnen
eigene Raststätten zur Verfügung stehen. Die Pest, die im 14. Jahrhundert im
Abendland mindestens jeden vierten Mann und jede vierte Frau dahinrafft, führt
jedoch viel zu rasch zum Tod, als daß man beim Auftreten der ersten Anzeichen
der Krankheit noch hoffen könnte, die großen Heiligtümer zu erreichen. Es ist
übrigens wahrscheinlich, daß diese Kranken abgewiesen würden, so groß ist das
Entsetzen, das der Schwarze Tod einflößt.
    Die Kranken machen es sich zur
Gewohnheit, einen besonderen Heiligen anzurufen: Die Lepra- und Blatternkranken
stellen sich unter den Schutz des heiligen Lazarus und der heiligen Magdalena;
die an Mutterkornvergiftung — einem durch Roggenbrand verursachten Fieber —
Leidenden beten zum heiligen Antonius dem Einsiedler, nach dem die Krankheit
dann auch benannt wird, nämlich Antoniusfeuer, desgleichen jene, die sich der
Pflege der daran Erkrankten widmen, die Antoniter.
    Die Hinkenden, die Buckligen, die
Kropfigen, die Krummbeinigen, die Abstoßenden beten unterwegs mit noch mehr
Inbrunst als die anderen Pilger. Abends am Rastort stärken sie sich an den
Berichten von Heilungen ebenso wie an Brot und Wein.
    Da wird zum Beispiel erzählt, daß ein
gewisser Guibert seit vierzehn Jahren an einer so jähen Gliederschrumpfung
leidet, daß er bald keinen Schritt mehr machen kann. In Begleitung seiner Frau
und seiner Dienerschaft macht er sich mit zwei Pferden auf den Weg nach
Santiago. Gleich nach seiner Ankunft begibt er sich zum Gebet. Nach kurzer Zeit
will man ihn zur Pflege ins Spital bringen. Er weigert sich mitzukommen: Ein
Traum hat ihn angewiesen, so lange im Gebet zu verharren, bis der heilige
Jakobus komme und seine Glieder löse. Als der Mann seine dritte Nacht wachend
und betend in der Kirche zubringt, kommt einer
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