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Anlass

Anlass

Titel: Anlass
Autoren: Ambler
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Prolog
    Tod in Mailand
    D
    er Mann im Schatten des Eingangs schlug seinen Mantelkragen hoch und vertrat sich sachte seine gefühllosen Füße auf den feuchten Pflastersteinen.
    In der Ferne konnte er den Lärm eines Zuges hören, der aus der Stazione Centrale ausfuhr, und er wünschte sich darin zu sitzen, bequem zurückgelehnt in die Polster eines Erstklaßabteils auf dem Weg nach Palermo. Vielleicht konnte er, wenn diese Arbeit erledigt war, sich einige Tage in der Sonne erlauben. Das hieß natürlich, falls die ihn gehen ließen. Es schien bei denen noch nie vorgekommen zu sein, daß jemand gerne gelegentlich nach Hause zurückkehrte. Mailand war kein guter Ort. Zu trocken und staubig im Sommer, und im Winter kamen diese verfluchten Nebel aus den Reisfeldern der Ebene, feucht und kalt, und brachten mit sich die Abgase der Fabriken. Schon wurde es leicht neblig. Eine Stunde später würde man die eigene Hand nicht mehr vor dem Gesicht sehen können, von etwas anderem ganz zu schweigen. Das hieß, daß Buonometti und Orlando nicht sehen konnten, was sie taten. Das wiederum bedeutete eine weitere Nacht warten in der Kälte und aufpassen. Seine Geduld ging zu Ende. Wenn dieser Engländer getötet werden mußte, konnte man das leicht und schnell erledigen. Eine dunkle Straße, ein Messer zwischen die Rippen, eine leichte Drehung aus dem Handgelenk, damit die Wunde Luft hatte, und fertig. Keine Umstände, keine Schwierigkeiten und praktisch kein Lärm. Aber so … Sein Blick wanderte die dunkle Fassade des Bürohauses gegenüber hoch bis zu einem einzelnen beleuchteten Fenster im vierten Stock. Resigniert zog er die Schultern hoch und lehnte sich an die Mauer. Eine Stunde oder zwei, was machte das schon aus? Was kümmerte es die , wenn er sich eine Lungenentzündung holte?
    Nur einmal bewegte er sich während der nächsten 25 Minuten. Die Schritte eines vereinzelten Fußgängers hallten durch die verlassene Geschäftsstraße, und das veranlaßte ihn, sich in den Schatten zurückzuziehen. Von einem vorbeigehenden Polizisten jedoch nahm er keine Notiz, und er grinste vor sich hin, als der Uniformierte es offensichtlich vermied, in seine Richtung zu blicken. Diesen Vorteil hatte man, wenn man für die arbeitete. Man mußte sich wegen der Polizei keine Sorgen machen. Man war sicher.
    Er richtete sich plötzlich auf. Das einzelne Licht war ausgegangen. Er streckte seine steifen Glieder, drückte den Rand seines Hutes zurecht und ging ruhig auf eine Telefonzelle am Ende der Straße zu. Zwei Minuten später war seine Arbeit für diese Nacht getan.
    Die Tür des Bürohauses öffnete sich, und zwei Männer traten heraus. Der eine wandte sich zurück, um die Tür zu schließen. Der andere wartete nicht. Er murmelte arrivederci , überquerte die Straße und verschwand in Richtung Bahnhof. Der Mann, der die Tür abgeschlossen hatte, blickte ihm nach, bis er verschwunden war.
    Es war ein stämmiger Mann in mittleren Jahren mit runden Schultern; seine Arme hielt er leicht nach vorn, als versuchte er beständig, sich durch einen sehr engen Durchgang zu quetschen. Diese Haltung paßte zu seinem Leben. Er hatte sich immer durchgedrängt, unnachgiebig, doch ohne Würde; ein wirkungsloser, furchtsamer Mann, dessen Selbstachtung auf Träumen beruhte, die er ständig nährte.
    Er griff in seine Jackettasche, zündete eine Zigarette an, knöpfte seinen Mantel wieder zu und schritt in die entgegengesetzte Richtung. An der ersten Straßenecke zögerte er. Zu seiner Rechten, ein Stück weiter die Straße runter, leuchteten die Worte Caffè Faraglio in Neon durch den Nebel. Er zögerte nur kurz, dann ging er rechts auf das caffè zu.
    Er fand einen Tisch in der Nähe der Heizung und bestellte einen caffè latte und einen Strega . Den Schnaps trank er in einem Zug. Dann zog er einen Briefumschlag aus der Tasche, streckte seine Hände unter die Tischplatte und entnahm ihm ein dickes Bündel Hundert-Lire-Noten. Er zählte sie sorgfältig – es waren 25 – und steckte sie in seine Brieftasche. Darauf trank er den Kaffee, bezahlte und ging.
    Der Nebel wurde dichter. Er bildete jetzt einzelne Schwaden, so daß der Mann bald vorsichtig seinen Weg entlang des Trottoirs suchen mußte, bald wieder energisch ausschreiten konnte. Menschen, die aus einem Kino drängten, rempelten ihn an; er bog in eine Seitenstraße ein, um ihnen auszuweichen.
    Er ging in Richtung des Monte di Pietà-Viertels, wo er wohnte. Als er schließlich den Corso Venezia
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