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Aschenputtels letzter Tanz

Aschenputtels letzter Tanz

Titel: Aschenputtels letzter Tanz
Autoren: Kathleen Weise
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rüberzugehen, denn die anderen sind wie Bienen ausgeschwärmt und haben den Bau verwaist zurückgelassen. Großmutter ist beim Friseur, Tante Luise und Onkel Gerhard arbeiten, und Elsa ist bei ihrem Physiotherapeuten. Sie will nicht abgeholt werden, sondern den ganzen Weg allein laufen. Vielleicht, um zu zeigen, dass sie keine Hilfe braucht.
    So hatte ich mir die Sommerferien jedenfalls nicht vorgestellt. Eigentlich wollte ich mit Elsa ein bisschen ins Kino gehen, rumhängen und den Sommer genießen, doch jetzt ist plötzlich alles anders, und bedrückt beiße ich in mein Brötchen.
    Auch Mutsch hat Pläne. Sie will eine alte Freundin besuchen, die sie noch aus Schulzeiten kennt, und hat mich gefragt, ob ich sie begleiten will. Aber das werde ich tunlichst vermeiden! Das letzte Mal haben sie die ganze Zeit nur über ihre gescheiterten Beziehungen geredet, während ich mich tödlich langweilen musste, weil ich zu dem Thema kaum etwas beizusteuern habe.
    Meine Erfahrungen damit sind eher überschaubar. In der vierten Klasse war ich ganze drei Wochen lang mit Frederik zusammen, bevor ich ihm eine Ohrfeige verpasst habe, weil er meine erste Ratte – Otto den Berserker –am Schwanz gezogen hat. Und vor einem halben Jahr habe ich auf einer Schulparty mit Torsten aus der Parallelklasse geknutscht. Dabei habe ich schon vorher gewusst, dass ich nicht verliebt bin. Aber ich habe eben gedacht, vielleicht kommt das ja mit dem Küssen, und außerdem ist er ganz nett und sieht auch gut aus und es wird ja nun auch mal Zeit, schließlich bin ich schon fünfzehn – aber es hat nicht funktioniert. Der Funken ist einfach nicht übergesprungen. Dafür gehen wir jetzt manchmal zusammen in Meyers Zoohandlung, weil Torsten ein Terrarium mit Schlangen hat, für das sich außer mir niemand interessiert, und manchmal baut er mir lustige Hindernisse für die Ratten aus Klopapierrollen und Servietten. Das war’s dann aber auch schon.
    Bisher ist mir einfach kein Junge begegnet, den ich wirklich interessant genug fand, um überhaupt eine Beziehung mit ihm anzufangen, worüber Mutsch ganz froh ist, weil sie insgeheim Angst hat, dass ich dieselben Fehler mache wie sie. Als ob! Mir hat schon Torstens Zunge gereicht, die offenbar versucht hat, einen Weg bis in meinen Magen zu finden!
    »Bist du sicher, dass du allein hierbleiben willst?«, fragt Mutsch mich später noch einmal an der Haustür, als sie geht, während sie dabei erst das Herrenhaus und dann die Eichen misstrauisch beäugt, als erwarte sie, dass jeden Moment etwas dahinter hervorspringen könnte. Der Himmel sieht noch genauso grau aus wie am Tag zuvor, und die Wolken hängen drohend über denBaumwipfeln, während der Staub der Auffahrt das Gras rot färbt.
    »Wenn du mich das noch einmal fragst, gebe ich dich zur Adoption frei«, erwidere ich genervt und scheuche sie davon, damit ich endlich meine Ruhe habe.
    Aber sobald unser Auto davongefahren ist, stehe ich plötzlich selbst in der Haustür und blinzle den Bäumen entgegen, hinter denen das Moor liegt und deren dicke Äste sich verknöchert dem Himmel entgegenwinden. Auf diese Entfernung hin kann man nicht durch den Wald hindurchsehen, beinahe schwarz wirkt das Dickicht zwischen den Bäumen, in dem alles Mögliche lauern könnte …
    Eine Gänsehaut überkommt mich und hastig trete ich zurück ins Haus. Es ist doch wirklich zu dumm, dass ich mich auf einmal so anstelle!
    Eine Weile sitze ich auf der Treppe, die ins Obergeschoss führt, und lese, dann lasse ich die Ratten aus ihrem Käfig, damit sie die Gegend erkunden können. Nach dem Mittagessen, einer Fertiglasagne, die sich als Blobb aus dem Weltall entpuppt, beschließe ich jedoch, dass es albern ist, nur im Haus zu hocken. Also ziehe ich Fliegerjacke und Stiefel an, schiebe alle Bedenken und Zweifel zur Seite und mache das, was ich früher schon längst getan hätte: Ich gehe zum Moor.
    Wie ein Wegweiser führt mich der leicht modrige Geruch darauf zu. Über die freie Rasenfläche, vorbei an denBlumenrabatten und den wuchernden Zucchinipflanzen und unter den überladenen Zweigen des Kirchbaums hindurch. Magisch ziehen mich die Baumriesen dahinter an, und als ich dann zwischen ihnen stehe und in ihre mächtigen Kronen sehe, komme ich mir vor wie ein Winzling. Der Geruch nach Pilzen und regenfeuchter Erde hängt in der Luft und darunter etwas Schwereres, süß und säuerlich zugleich.
    Doch ich zögere weiterzugehen, und wütend über mich selbst balle ich die Hände zu
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