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Aschenputtels letzter Tanz

Aschenputtels letzter Tanz

Titel: Aschenputtels letzter Tanz
Autoren: Kathleen Weise
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Eigentlich hat er keine Bezeichnung, aber weil der Kies bei der Aufschüttung wie Glas in der Sonne geglänzt hat, haben ihn die Leute Scherbenberg genannt. Die Erwachsenen sehen es nicht gern, wenn sich Jugendliche dort herumtreiben, aber alle Versuche, dem Spuk ein Ende zu bereiten, sind fehlgeschlagen. Es gibt eben nicht viel zu tun in einem Ort wie Mahnburg.
    In dem Moment fällt mir wieder ein, dass Elsa hier ganz in der Nähe überfallen wurde, und fast augenblicklichüberkommt mich erneut diese Unruhe, die die Härchen an meinem Nacken aufstellt. Vielleicht sollte ich nicht hier sein …
    Da knackt es hinter mir.
    Doch als ich herumfahre, ist da nichts. Nur Büsche, Torf und das Zwitschern der Vögel, die in der Einsamkeit des Moores brüten. Wie immer.
    Reiß dich zusammen! Das ist ja nicht zum Aushalten.
    Der Trotz packt mich. Ich gehe weiter. Meine Schritte führen mich auf den Scherbenberg hinauf. Am Tag ist es ein ruhiger Ort, niemand ist zu sehen. Um diese Uhrzeit beginnen eben keine Partys, nur Kaffeekränzchen.
    Ich drehe mich im Kreis, um mich umzuschauen. Überall auf dem Erdboden sind Verschlüsse von Bierflaschen verstreut. Neben dem Papierkorb liegt zerknülltes Küchenpapier. In der Feuerstelle sind noch die Kohlereste des letzten Treffens zu sehen. Das Gras ist an dieser Stelle fast verschwunden, der Boden festgestampft von den unzähligen Turnschuhen, die hier gesprungen und ums Feuer gerannt sind. Die Erde glänzt noch feucht vom Regen.
    Es ist seltsam, an einem Ort zu stehen, der aussieht, als würden dort Menschen sein, und dann steht man da ganz allein.
    Vorsichtig gehe ich weiter, tiefer zurück ins Moor.
    Plötzlich knackt es wieder.
    Vor mir, nicht weit entfernt, hinter einer Buschgruppe,denen Birken folgen. Das kann alles Mögliche sein, sage ich mir. Vögel. Kröten. Der Wind – und meine Einbildung. Deshalb gehe ich weiter auf das Gebüsch zu. Meine Hand schließt sich zur Faust und mein Atem klingt laut, als wäre ich einen Marathon gelaufen.
    Warum sollte der geheimnisvolle Angreifer ausgerechnet in diesem Moment hinter einem Busch hocken und darauf warten, dass jemand hier vorbeikommt?, mache ich mir Mut.
    Doch dann sehe ich auf einmal etwas ein paar Meter vor mir, das nicht ins Bild passt. Irritiert blinzle ich und bleibe stehen. Mit wild schlagendem Herzen. Halb unter einem Busch verborgen sehe ich einen Kleiderhaufen.
    Wieder dieses Knacken.
    Von weiter her.
    Instinktiv hebe ich einen abgebrochenen Ast auf, der vor mir liegt. Er ist glitschig vom Regen und nicht sehr dick, aber besser als gar nichts. Langsam drehe ich mich ein paar Mal um mich selbst, aus irgendeinem Grund renne ich nicht weg, obwohl das vermutlich das Vernünftigste wäre.
    Mit jedem Schritt vorwärts erkenne ich mehr Details, und etwa zwei Meter davor begreife ich endlich, dass das Bündel unter dem Busch nicht einfach nur ein Haufen weggeworfener Kleider ist.
    Es ist ein Körper.
    Ein Mädchen.
    Eine Tote?

E ine Ewigkeit stehe ich mit dem Ast in der erhobenen Hand da und starre auf den Körper, der halb verborgen unter den Büschen liegt. Vor Aufregung wird mir ganz schlecht und gehetzt sehe ich mich um, aber es springt niemand auf mich zu, es ist nichts zu hören.
    Nicht einmal das Flüstern der verlorenen Seelen.
    Es dauert eine Ewigkeit, bis ich die Kraft finde, in einem weiten Bogen um den Busch herumzugehen. Doch dort ist niemand zu sehen. In das dichtere Unterholz der Birkengruppe dahinter wage ich mich allerdings nicht vor.
    Nur zögernd trete ich an den Körper heran. Dabei zittert meine Hand so sehr, dass ich beinahe den Ast fallen lasse.
    »Hallo!«, rufe ich, aber das Mädchen reagiert nicht.
    Oh Gott, sie wird doch nicht wirklich tot sein?
    Ihr hellblauer Rock ist eine Handbreit über die Knie gerutscht, und aus irgendeinem Grund irritiert mich dieser Umstand mehr als die Tatsache, dass dieser Körper hier liegt. Mitten im Moor. Schmale Beine leuchten im Tageslicht käseweiß, und zitternd gehe ich näher, bis meine linke Fußspitze schwarzes Haar berührt, das wie ein Schleier um den Kopf des Mädchens fällt. Ich kann den Blick nicht von ihrer weißen Haut abwenden, die den Sommer verschlafen zu haben scheint. Blaue Adern schimmern durch die Oberfläche, und ihre Finger bohren sich tief ins Moos. Die roten Turnschuhe bilden einen scharfen Kontrast zu dem verblassenden Torfbraun.
    Aber da!
    Ihr Brustkorb hebt und senkt sich. Sie lebt!
    Schnappend hole ich Luft, ich habe gar nicht gemerkt,
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