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Aschenputtelfluch

Aschenputtelfluch

Titel: Aschenputtelfluch
Autoren: Krystyna Kuhn
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mal den iPod rüber.
    Vermutlich werde ich darüber lachen, wenn die Welt dort unten auf ein Nichts zusammenschrumpft, das Ganze zu einer Playmobil schule wird. Wenn sich das Gewimmel auflöst, die Tränen aufhören zu fließen, die Eltern nach Hause fahren. Die Stimmen, das Gelächter alles wird leiser, bis ich nur noch den Wind dort oben höre und das Gekrächze der Raben, die sich auf dem Dach versammeln. Sie werden die einzigen Zeugen sein. Die einzigen, die mir Mut machen.
    Werde ich die Kraft haben zu springen?
    Oder nicht?
    Aber ich brauche ja gar keine Kraft mehr. Das ist das Schöne. Ich muss mich einfach nur fallen lassen.
    Ja, ich habe Angst!
    Aber ich freue mich auch!
    Denn heute noch sehe ich Mama und Papa wieder. He, werde ich zu ihnen sagen, ich habe euch so vermisst!

KAPITEL 1
    D er Bus gab Vollgas, legte sich in die Kurve und bog nach rechts in eine schmale Straße, nicht mehr als ein asphal tierter Waldweg. Die hohen dunkelgrünen Tannen stan den so dicht beieinander, dass nur ein schmaler Streifen blauer Himmel über uns zu sehen war.
    Willkommen in Ravenhorst!
    Das Schild war nicht zu übersehen.
    Oh mein Gott, war ich nervös. Nur noch drei Kilometer trennten mich von meiner neuen Heimat.
    Ich schloss die Augen und sagte zu mir: Calm down, Jule, du bist auf dem direkten Weg in die Freiheit.
    Mein Nachbar schlief immer noch.
    »Ich bin Nikolaj, zehnte Klasse«, hatte er gesagt, als wir am Hauptbahnhof Leipzig in den Bus stiegen. »Ist der Platz neben dir frei? Hinten wird mir immer schlecht.«
    Ich nickte und räumte bereitwillig meinen Rucksack zur Seite.
    Er setzte sich, schloss die Augen und weg war er.
    Wie ich heiße, hatte er nicht gefragt.
    Ich bin Jule.
    Na ja, eigentlich Juliane, aber niemand nennt mich so außer meinen Eltern. Ich bin nicht nur Einzelkind, sondern auch das Produkt einer späten Liebe. Zu spät – wenn man mich fragt. Ich bin auf die Welt gekommen, als meine Mut ter anfing, sich vor dem Leben zu fürchten: vor Arbeitslosigkeit, Krankheit, Tod, Wirtschaftskrise, Klimaerwärmung, Terrorismus, Vogelgrippe. Vielleicht liegt es auch daran, dass mein Vater Polizist ist. Sie weiß einfach zu viel darüber Bescheid, was alles passieren kann.
    Meine Eltern sind alt. Älter als die Beatles, viel älter als das Farbfernsehen – an Computer oder Handys war noch gar nicht zu denken. Mein Daddy – er hasst es, wenn ich ihn so nenne – ist ein Jahr nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges geboren. Ist das nicht krass? Und meine Mut ter sieben Jahre später. Kurz – eine Tochter in meinem Al ter bedeutet für sie der totale Kulturschock.
    Und deshalb bin ich jetzt unterwegs in das Internat Ra venhorst, das ehemals ein Kloster war. Ich könnte also sa gen, ich gehe freiwillig ins Kloster, um der absolut peinli chen Fürsorge meiner Eltern zu entkommen und – weil ich nach der Sache mit Jasper vermutlich sowieso nie mehr eine Beziehung haben will.
    Ganz davon abgesehen – es gibt Spiegel, die mir un missverständlich zu verstehen geben: Ich, Jule Sanden, in der Blüte meiner Jugend, sprich sechzehn Jahre alt, bin flach, total platt. Exakt ausgedrückt – und ich oute mich gleich als Mathefreak – komme ich gerade mal auf Körb chengröße 70 A mit Tendenz zu 65 A, wenn ein Busen überhaupt noch kleiner sein kann. Irgendwann einmal werde ich Spiegel mit digitaler Bildbearbeitung erfinden, die so eingestellt sind, dass man sich selbst perfekt er scheint.
    »Aber du bist doch so intelligent, Juliane«, jammert mei ne Mutter im Gegenzug, wenn ich über mein Aussehen jammere.
    »Klar, Mammi, und die Kerle stehen total auf Mädchen, die klug sind. Sie mögen es, wenn man widerspricht, Ma theformeln zitiert und ihnen die Theorie des Weltalls er klärt. Genau das, was sie brauchen.«
    Aber das ist ein Humor, den meine Mutter nicht ver steht, weshalb sie versucht, mich zu trösten: »Aber was ist mit Jasper? Der liebt dich doch!«
    In solchen Momenten möchte ich sie am liebsten an schreien, aber – Mammi ist so naiv und lieb zugleich – ich bringe es einfach nicht übers Herz.
    Jedenfalls, nach all der Kacke in den letzten Wochen vor den großen Ferien – und die war wirklich am Dampfen – war mir klar: Ich musste dringend weg von zu Hause. Des halb habe ich mich für das Stipendium in Ravenhorst be worben und es bekommen. Sonst säße ich ja nicht neben diesem Nikolaj, der den Schlaf erfunden hat.
    Ravenhorst ist ein ziemlich bekanntes Internat für rei che Kids und wenige
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