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Arglist: Roman (German Edition)

Arglist: Roman (German Edition)

Titel: Arglist: Roman (German Edition)
Autoren: Faye Kellerman
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nachdachte, hatte ein besonders aufmerksamer Beamter bemerkt, dass der hintere Teil des Benz tiefer lag und dass etwas aus dem Kofferraum tropfte. Mit übergezogenen Handschuhen werkelte einer der Uniformierten am Schloss herum, bis die Kofferraumklappe aufsprang.
    Bennett Alston Little war vollständig bekleidet. Seine Hände und Füße waren mit etwas, das an einen Schnürsenkel erinnerte, gefesselt, seine Augen mit einem Tuch verbunden. Man hatte ihm dreimal in den Hinterkopf geschossen.
    Melinda redete wieder mit der Polizei.
    Und dieses Mal wurde sie ernst genommen.
     
    Zuerst sah Decker die Fotografien durch. Wenn er bei einem Fall nicht als ermittelnder Beamter dabei gewesen war, legte er Wert auf deutliche mentale Bilder. Der Schnappschuss prae mortem bewies, dass Ben Little ein sehr gut aussehender Mann gewesen war: durchdringende, helle Augen, ein breites, freundliches Lächeln, eine ausgeprägte Kinnpartie und eine athletische Statur. Die Akte enthielt zwei Porträtfotos und eins mit Ben und seiner Familie.
    Dagegen zeigte die post-mortem- Aufnahme den glücklosen Lehrer in der Fötus-Haltung mit angezogenen Knien, die seine Stirn berührten – eine ungewöhnliche Stellung, um sie nach Todeseintritt einzunehmen. Bens Kopf ruhte in einer riesigen Blutlache. Decker las weiter den Bericht vom Tatort, bis er fand, was er gesucht hatte. Einige Patronenhülsen waren im Kofferraum gefunden worden, und das erlaubte den Rückschluss, dass der Kofferraum der tatsächliche Tatort war. Ben hatte noch gelebt, als er dort hineingelegt worden war, und instinktiv eine Schutzhaltung eingenommen. Dann wurde er hingerichtet.
    Es hatte etwas Jenseitiges, wenn man die Originalnotizen zu einem Fall las. Eine Leiche wurde zu einem lebenden, atmenden Menschen. Die beiden damaligen Ermittler – Arnold Lamar und Calvin Vitton – hatten offensichtlich hart an dem Fall gearbeitet, und die Akte war vollständig. Die Wiederauferstehung von Ben Little hatte zur Folge, dass sich Decker lang und breit mit Lamar und Vitton unterhalten musste, doch davor wollte er sich eine eigene Meinung bilden.
    Langsam trat Ben Little als komplexe Persönlichkeit zutage. Er hatte seine kleinen Macken – das Knacken der Fingergelenke, ein wieherndes Lachen und zwanghaftes Anfertigen von Listen -, aber anscheinend keine offenkundigen und gefährlichen Laster. Melinda Littles Beschreibung nach war ihr Ehemann ein Mensch voll unerschöpflicher Energie, eng verbunden mit der Schule, mit seiner Fakultät, mit Schülern in Not, mit seinen besonders guten Schülern, mit gemeinnützigen Vereinen und seinen Bürgerpflichten, und – nicht zu vergessen – mit seiner Familie. Alle Jubeljahre packte ihn die Erschöpfung, Ben bekam eine Erkältung oder Grippe und verwandelte sich dann »wie alle Männer in ein hundertprozentiges Kleinkind«.
    Melinda behauptete, mehr als glücklich damit zu sein, ihn von vorne bis hinten zu bedienen. So konnte sie ihm etwas zurückgeben, da er immerzu für andere da war. Soweit sie wusste, gab es keine anderen Frauen.
    »Wann sollte er Zeit für sie gehabt haben?«
    Für Notfälle hinterließ er ihr immer seinen Kalender mit Adressen und Telefonnummern. Und die wenigen Male, die sie ihn kontaktieren musste, war er immer genau da gewesen, wo er angegeben hatte zu sein.
    Er trank nicht, noch nahm er Drogen. Sie hatten Geld auf dem Sparbuch, einen Rentenplan, eine Lebensversicherung und Ausbildungs-Sparverträge fürs College der beiden Jungs. Seine persönlichen Laster finanzierte Ben niemals aus ihrem Sparguthaben. Das Haus hatte keine geheim gehaltene zweite Hypothek, die Ratenzahlungen fürs Auto gingen pünktlich ab, es war immer genug Geld da für Geburtstagsund Weihnachtsgeschenke, und er und Melinda legten Wert darauf, mindestens einmal im Jahr ohne die Kinder zu verreisen. Ben war liebevoll und umsichtig, und wenn man ihm einen Fehler nachsagen wollte, dann war das sein voller Terminkalender. Ein paar Mal hatte er die Entscheidungsspiele seiner Söhne verpasst, einige ihrer Schulaufführungen, aber war das nicht bei allen berufstätigen Ehemännern so?
    Auf intensivere Nachfrage hin gab Melinda zu, dass Ben auch mal schlechte Phasen gehabt hatte. Es gab da einen Schüler, der bei einem Autounfall ums Leben kam, und einen anderen, der an einer Überdosis starb. Solche Vorfälle bedrückten ihn, doch seine bevorzugte Art, damit fertig zu werden, war, sich in ein neues Projekt zu stürzen. Er hielt sich nicht mit Dingen auf,
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