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Arglist: Roman (German Edition)

Arglist: Roman (German Edition)

Titel: Arglist: Roman (German Edition)
Autoren: Faye Kellerman
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sich verlangsamte, sobald er am Ende des Flurs außer Sichtweite geriet.
    Beim dritten Mal senkte sie den Blick und murmelte ein paar unverständliche Worte vor sich hin.
    Ab dem sechsten Mal gelang es ihr, wenigstens ein kurzes »Hallo« zurückzugeben, auch wenn es ihr unmöglich war, ihn anzublicken, ohne feuerrot zu werden.
    Das erste, letzte und einzige echte Gespräch fand in Genoas vorletztem Schuljahr statt. Man hatte Genoa in Dr. Bens Büro vorgeladen. Sie war so nervös, dass sie spürte, wie ein paar Tropfen ihre Blase verließen und von ihrer Baumwollunterhose aufgefangen wurden. Sie trug grobe unförmige Jeans und ein Sweatshirt und hatte ihre krausen Haare zu einem borstigen Pferdeschwanz zusammengebunden.
    »Setz dich, Genoa«, bat Dr. Ben. »Wie geht’s dir heute?«
    Sie konnte nicht antworten. Er sah sehr ernst aus, und sie hatte zu viel Angst, um einfach zu fragen, was sie denn angestellt hätte.
    »Ich wollte dir nur mitteilen, dass uns deine Bewertungen für den Testlauf der Eignungsprüfung fürs College vorliegen.«
    Sie schaffte es, leicht mit dem Kopf zu nicken, als er bereits fortfuhr: »Ganz bestimmt weißt du mittlerweile, was für eine phänomenale Schülerin du bist. Ich freue mich unglaublich, dir sagen zu können, dass du die höchste Bewertung der ganzen Schule hast. Oder besser gesagt: Du hast die höchstmögliche Bewertung überhaupt. Perfekte 1600 Punkte.«
    Sie hatte immer noch zu viel Angst, um irgendetwas zu sagen. Ihr Herz raste, und ihr Gesicht fühlte sich an, als hätten eintausend Hitzestrahler die Haut verbrannt. Schweiß tropfte ihr von der Stirn und lief über ihre Nase. Schnell wischte sie die Tropfen fort und hoffte, er hätte nichts davon bemerkt. Was unwahrscheinlich war.
    »Weißt du, wie ungewöhnlich das ist?« Little redete wieder weiter.
    Genoa wusste, wie ungewöhnlich das war. Sie wusste nur zu gut, wie ungewöhnlich sie war.
    »Ich habe dich heute hierherbestellt, um dir persönlich zu gratulieren. Ich erwarte Großes von dir, liebe Genoa.«
    Genoa hatte nur eine vage Erinnerung daran, ein Dankeschön gestammelt zu haben.
    Dr. Ben hatte sie angelächelt, ein breites Lächeln, das alle seine Zähne zeigte. Er strich sein sandfarbenes Haar aus dem Gesicht und versuchte, ihren Blick einzufangen, und seine Augen waren dabei so wunderbar blau, dass Genoa nicht in sie hineinsehen konnte, ohne die Luft anzuhalten. Er sagte: »Die Menschen sind so unterschiedlich, Genoa. Manche sind klein, andere groß, manche sind musikalisch, manche künstlerisch begabt. Und ganz, ganz wenige wie du sind mit einem unglaublichen Verstand gesegnet. Dein Kopf wird dich durchs Leben bringen, meine Liebe. Wie in der Fabel um die alte Schildkröte und den Hasen: Du wirst es schaffen, Genoa. Du wirst es schaffen, und ich glaube fest daran, dass du all deine Schulkameraden hinter dir lassen wirst, weil du dir das einzige Körperteil zunutze machst, das nicht durch Schönheitschirurgie repariert werden kann.«
    Keine Antwort. Seine Worte fielen in luftleeren Raum.
    Dr. Ben stand auf.
    »Noch mal herzlichen Glückwunsch. Wir an der North Valley High sind sehr stolz auf dich. Deinen Eltern kannst du deinen Erfolg schon mitteilen, aber bitte behalte es sonst noch für dich, bis die offiziellen Ergebnisse verschickt sind.«
    Genoa stand ebenfalls auf und nickte.
    Little lächelte sie wieder an. »Du kannst jetzt gehen.«
     
    Zehn Jahre später war Genoa Greeves gerade dabei, in ihrem angenehmen Büro im vierzehnten Stock mit Blick über das Silicon Valley ihre morgendliche Tasse heiße Schokolade zu trinken, als sie die San Jose Mercury News aufschlug und von dem grauenhaften Mord an Dr. Ben las, der eher an eine Hinrichtung erinnerte.
    Sie verfolgte die Geschichte ganz genau.
    In den folgenden Artikeln wurde betont, dass Bennett Alston Little offensichtlich nicht einen einzigen Feind gehabt hatte. Fortschritte in den Ermittlungen, die von Anfang an schleppend liefen, schienen selbst sechs Monate später vollkommen ausgeschlossen. Es gab wohl einige »verdächtige Personen«, aber nichts Entscheidendes kam zum Vorschein, das den Fall aufgeklärt hätte. Der Mord verschwand von der Titelseite und fiel in Vergessenheit, mit Ausnahme einer kleinen Notiz zum ersten Jahrestag des Verbrechens. Danach fristeten die Akten ihr Dasein als ein weiterer ungelöster Fall in einem Monolithen: dem Archiv des Los-Angeles-Polizeidepartments.
    Weitere fünfzehn Jahre vergingen. Und dann, wie durch Zufall, nahm
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