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Archer Jeffrey

Archer Jeffrey

Titel: Archer Jeffrey
Autoren: Die chinesische Statue und andere Uberraschungen
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Meister zurück, und dabei ließ er die wahrscheinlich einzige undiplomatische Äußerung seiner fünfunddreißigjährigen beruflichen Laufbahn fallen, indem er sagte: „Was gäbe ich darum, dieses Kunstwerk mein eigen zu nennen!“ Als der Mandarin seine Worte übersetzt, bereute er schon, seine Gedanken laut geäußert zu haben. Denn er wußte sehr wohl, daß es alte chinesische Sitte war, den Wunsch eines Ehrengastes zu erfüllen, um so Ruhm und Ansehen in den Augen seiner Mitmenschen zu erwerben.
Mit einem traurigen Blick überreichte der Alte seinem Gast die Figur.
„Nein, nein, ich habe doch nur gescherzt“, sagte Sir Alexander und versuchte, den kostbaren Gegenstand seinem Besitzer zurückzugeben.
„Exzellenz würden mein bescheidenes Haus entehren, wenn Sie das Geschenk nicht annähmen“, entgegnete der Alte in großer Aufregung, und der Mandarin nickte dazu ernst. Sir Alexander schwieg ein paar Augenblicke lang. „Ich habe mein eigenes Haus entehrt“, sprach er dann an den Mandarin gewandt, der jedoch keine Miene verzog.
Der Meister verneigte sich tief und sagte: „Ich muß mich nach einem Sockel umschauen, damit Exzellenz die Figur auch aufstellen können.“
Und er öffnete eine hölzerne Truhe, in der Hunderte Sockel durcheinander lagen. Nach längerem Stöbern entschied er sich für ein Stück, das mit kleinen schwarzen Figuren verziert war. Sir Alexander gefiel der Sockel nicht sonderlich, er mußte aber zugeben, daß er zu der kleinen Statue trefflich paßte. Der alte Mann beteuerte, daß es sich – obgleich er selbst die Herkunft des Sockels nicht angeben könne – um eine äußerst gediegene Arbeit handle.
Beschämt und verlegen empfing der Botschafter das kostbare Geschenk aus den Händen des Alten, der alle Dankesworte des hohen Gastes still über sich ergehen ließ. Dann verbeugte er sich nochmals tief zum Abschied, und Sir Alexander verließ mit dem Mandarin, der keinerlei Regung zeigte, die Werkstatt.
Sie machten sich auf den Rückweg nach Peking. Der Botschafter befand sich in einem so erbärmlichen Zustand, daß sein aufmerksamer Begleiter nicht umhin konnte, die Regeln des Anstands einmal zu miß achten und als erster das Wort zu ergreifen: „Exzellenz kennen zweifellos die alte chinesische Sitte, welche besagt, daß man die Großmut, die ein Fremder einem zuteil werden ließ, erwidern muß, noch ehe das Jahr um ist.“
Mit einem Lächeln dankte der Botschafter dem Mandarin für diesen Hinweis, über den er lange nach dachte.
Nach Peking zurückgekehrt, suchte Sir Alexander unverzüglich die reichhaltige Bibliothek seiner Residenz auf, in der Hoffnung, den Wert der kleinen Statue ermitteln zu können. Nach emsiger Suche entdeckte er die Abbildung einer Figur, die der seinen beinahe aufs Haar glich; mit Hilfe des Mandarins gelang es, ihren Wert festzustellen: dieser belief sich auf etwa drei Jahreseinkommen eines Botschafters im Dienste Ihrer Majestät, der Königin von England. Sir Alexander erörterte das Problem mit Lady Heathcote, die ihn nicht im Zweifel darüber ließ, was er zu tun hätte.
So sandte er denn ein Schreiben an seine Bank in London, darin er Auftrag gab, ihm sogleich den Großteil seines Vermögens nach Peking zu überweisen.
Nach knapp neun Wochen war das Geld in seinen Händen, und Sir Alexander wandte sich wieder um Rat an den Mandarin, der in der Zwischenzeit das Folgende herausgefunden hatte:
Unser kleiner Meister mit Namen Young Lee entstammte der alten und ehrbaren Familie der Young Shan, deren Mitglieder seit etwa fünfhundert Jahren das Handwerk des Elfenbeinschnitzens ausübten.
Nun, da Young Lee alt geworden war, verspürte er den Wunsch, sich in die Berge oberhalb seines Dorfes zurückzuziehen, um dort, nach Vätersitte, seinem Tode entgegenzusehen. Der Sohn war bereit, die Werkstatt von seinem Vater zu übernehmen.
Der Botschafter dankte dem Mandarin für die Auskunft und unterbreitete ihm noch eine Bitte, die jener freundlich aufnahm; sodann verfügte er sich in den kaiserlichen Palast. Wenige Tage danach kam aus dem Palast die Nachricht, daß die Kaiserin Sir Alexanders Ersuchen ein williges Ohr geliehen habe.
Noch ehe das Jahr abgelaufen war, machte sich Sir Alexander, wiederum in Begleitung des Mandarins, auf die Reise von Peking in das Dorf Ha Li Chuan. Dort angelangt, stieg er vom Pferd und betrat die ihm wohlvertraute Hütte. Den flachen Hut ein wenig schief auf dem Kopfe saß der alte Meister an seiner Werkbank, ein Stück unbehauenen
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