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Aquila

Aquila

Titel: Aquila
Autoren: Thomas Gifford
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platzte. Sein Teint ging ins Teigige, und die tief in den Höhlen liegenden, überschatteten Augen erinnerten Nat Underhill an einen Blinden. Er war
    zurückhaltend, hilfsbereit, rastlos und stets bemüht, einen guten Eindruck zu machen und die Weisheit der älteren Westler in sich aufzunehmen.
    Schulter an Schulter um einen großen Ecktisch gruppiert, durch die Wärme und die gehaltvollen rumänischen Weine in besonders gesellige Stimmung versetzt, rauchten sie, ließen die Vergangenheit wieder aufleben und aßen mamaliga und mititei, winzige Fleischbällchen am Spieß, und Wurst und Steak und saure Suppe, und den verheerend fetten Schmortopf. Erschöpft von Obst und Käse und tzuica lehnten sie sich zurück. Sie brachten einen Toast auf Nat Underhill aus und neckten ihn wegen seines hohen Alters, obwohl drei aus ihrer Runde auch schon die Siebzig überschritten hatten. Grigorescu lächelte verlegen, schwitzte, wischte sich die Stirn, hörte zu, übersetzte für den Kellner. Schließlich zündeten sie ihre Pfeifen und Zigarren an, und Nat Underhill sah ihnen ins Gesicht. Dann zog er einen einfachen Umschlag aus der Tasche und warf ihn auf 26
    das mit Weinflecken verzierte Tischtuch. Die Kerzen waren heruntergebrannt. Wachs lief in fantastischen Mustern zusammen.
    »Meine Herren«, sagte Nat Underhill, »ich muss Ihnen eine Geschichte erzählen … Sie ist ein Beispiel für die Wunder, die sich in unserem Beruf hinter jeder Ecke verbergen können.
    Grigorescu, Sie wissen nie, was morgen passieren kann. Sie fangen erst an … ich nähere mich dem Ende. Aber das Schicksal kann jederzeit einen von uns bei der Hand nehmen.« Der korpulente junge Mann nickte mit ernstem Gesicht. »Vor weniger als einem Monat spielte mir das Schicksal das bemerkenswerteste Dokument meines Lebens zu …« Er wedelte gemächlich mit dem Umschlag wie ein Zauberer, der gerade dabei ist, ein Kaninchen aus einem Ohr zu zaubern. »Es kam aus heiterem Himmel, und es wird dafür sorgen, dass die Geschichte des amerikanischen Revolutionskrieges neu geschrieben werden muss! Nichts weniger … Sie kennen mich, ich neige nicht zu Übertreibungen. Lassen Sie mich erklären …«
    Als er mit seiner Geschichte am Ende war, ließ er die Fotokopie um den Tisch gehen. Er erkannte echte Bewunderung in ihren Gesichtern: Männer wie sie zeigten sie nicht oft, und wenn sie es taten, gab es keinen Zweifel. Er lächelte, während er sie beobachtete. Das war der Lohn: das ehrliche,
    unausgesprochene Lob seiner Kollegen. Näher konnte ein Antiquar dem Nobelpreis nicht kommen.
    Sie verabschiedeten sich in der großen Lobby des Athénée-Palace. Nat machte sich am frühen Morgen auf den Weg. Einige seiner Kollegen würde er im kommenden Frühjahr in New York treffen, andere – besonders den jungen Grigorescu – bestimmt nie wieder. Er klopfte dem Rumänen auf den Rücken, schüttelte ihm mehrmals die feuchte Hand und wankte ins Bett. Nat Underhill war bestimmt nie in seinem Leben glücklicher gewesen als in jener Winternacht in Bukarest, während der Wind an den Fenstern rüttelte und die Heizkörper rumorten.
    27

    Moskau
    Februar 1976

    28
    Maxim Petrow, Direktor des KGB, des sowjetischen
    Geheimdienstes, kam wohlgelaunt an seinem Arbeitsplatz an.
    Das Vergaserproblem seiner schwarzen Fünfundsiebzigtausend-Dollar-Limousine, von der er bei jeder Temperatur
    einwandfreies Fahrverhalten erwartete, hatte man endlich in den Griff bekommen. Sein Chauffeur war zufällig einmal halbwegs erträglicher Laune, und seine Frau war in ausgezeichneter Stimmung. Sie wollte in Nummer 2 Granowskya, dem Passamt, einkaufen gehen, und hatte versprochen, ihm einen Karton Courvoisier und einen neuen Louis-Vuitton-Terminkalender mitzubringen. Am späten Sonntagabend fühlten sich alle drei entspannt und fit nach dem langen Wochenende, das sie auf der Datscha ungefähr sechzig Kilometer von Moskau entfernt verbracht hatten.
    Obwohl Moskau mehr unter dem Winter litt als gewöhnlich, war Petrow mit seinen Gedanken weit weg. Es war immer das Gleiche zu dieser Jahreszeit, und die Amerikaner waren schuld.
    Er pfiff »Oh what a beautiful morning«, als er sein Büro betrat, das ihm Ausblick auf den schneebedeckten Roten Platz gewährte. Auf seinem Schreibtisch lag die New York Times neben den Sporting News. Als Leiter des KGB war er nur sehr wenigen Leuten Rechenschaft schuldig; keiner von ihnen wusste etwas von den Sporting News.
    Pfeifend setzte er sich hinter seinen noch neuen, sterilen,
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