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Aquila

Aquila

Titel: Aquila
Autoren: Thomas Gifford
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herausrann.
    Der Mond war wieder verschwunden, und plötzlich sah die Wolkendecke dichter, dauerhafter aus und machte die Nacht sehr dunkel. Nur der Wind pfiff an der Baumgrenze. William spürte einen Druck auf der Blase. Er sah zu der dichten Baumgruppe hin. Draußen im Wind würde er bestimmt nicht pinkeln, verdammt noch mal. Er hatte nämlich gehört, einem Mann sei sein Ding erfroren, einfach abgefallen, hatte er gehört.
    Er konnte nicht sagen, ob die Geschichte erfunden war, aber er hielt es auch nicht für nötig, das durch einen Selbstversuch zu klären.
    Nein, es könnte schlimmer sein; überall rings um ihn war es schlimmer. Allerdings hatte er die Krätze, und wenn er sich kratzte, betrachtete er sein Leiden als Kriegsverletzung. Das einzige Mittel dagegen war, sich den Körper von einem Freund mit einer stinkenden Mischung aus Schwefel und Talg einreiben zu lassen. Heiland! Ob er je wieder nackt bei einem Mädchen liegen würde? Es schien ganz unmöglich, wenn man da draußen in der Kälte stand und spürte, wie Talg und Schwefel auf Brust 9
    und Rücken festfroren. Trotz allem lächelte er, dass sein Bart knisterte: Er war besser dran als die meisten. Daran musste er sich stets erinnern, auch wenn das manchmal nicht leicht war.
    Teufel noch mal, bei Germantown hatte es Momente gegeben, in denen er mit Sicherheit glaubte draufzugehen …
    Aber unter General Washington zu dienen machte viele Qualen wett. Dieser Gedanke hatte ihn manche schwere Nacht und manch heikle Lage überstehen lassen – Geschichten, die er eines Tages seinen Enkeln erzählen würde. Geschichten aus der Zeit, in der er in Washingtons Armee gedient hatte. Was war der alte George doch für ein Mann! William war ihm zum ersten Mal auf dem Gemeindeanger von Cambridge begegnet – einem großen, kräftigen Kerl mit breitem Hintern, dem Musterbild eines Soldaten. Jemand, der dich auffordern durfte, ihm in die Schlacht zu folgen … Jemand, hinter dem du dich notfalls verstecken konntest, wenn es zu brenzlig wurde.
    Schließlich stapfte er auf die schwarze Masse der Bäume zu, wobei er bei jedem Schritt durch die harsche Schneekruste brach. Der Wind jammerte stärker, als er näher herankam. Er erinnerte sich, dass der dunkle Wald ihm als Jungen in Massachusetts immer Angst eingejagt hatte. Jetzt war er für ihn nur noch ein Ort, der ihm Schutz bot vor dem Wind und wo er sich erleichtern konnte. Er lächelte in der Erinnerung an seine Knabenzeit, und wieder hörte er seinen Bart knistern wie splitterndes Glas.
    Verdammt, er wusste, was einige seiner Kameraden über Washington sagten; er kannte die Sticheleien und
    Beleidigungen, die unanständigen verhohlenen Gesten und die böswillige Kritik. Er hatte alles gehört, und er hätte gern gesehen, wie sie es dem alten George ins Gesicht sagten! Sollten sie doch murren, diese verdammten Narren … Er hatte andere, weisere Männer sagen hören, dass keine Armee der Welt sich so gut geschlagen hätte wie Washington und seine Leute. Sie hätten sich den Respekt der Welt verdient. Jemine, das sagte 10
    doch alles über George Washington, was man wissen musste.
    Er erledigte sein Geschäft und fühlte, wie sich sein Körper im Windschatten entspannte. Der Schnee wehte über den Harsch, prasselnd in der Nacht, und zerstob zwischen den Bäumen.
    Nichts bewegte sich entlang der Baumgrenze. William trat gegen einen Baumstamm, um seine Blutzirkulation in Gang zu halten. Hier unter den Bäumen war er besser vor dem Wind geschützt. Er tastete in seiner Tasche nach der Pfeife, und als ihm einfiel, dass er keinen Tabak mehr hatte, starrte er ins Dunkel des kleinen Wäldchens, das ihm sehr groß erschien.
    Seine Augen gewöhnten sich an das tiefere Blauschwarz.
    Vielleicht war ein kurzer Erkundungsgang durch das einladende, schützende Gehölz angebracht. Ihm war nicht ganz klar, gegen wen er hier draußen in der Kälte auf Posten stand, aber wer es auch sein mochte – würden sie sich nicht eher im Wald sammeln?
    William griff nach seiner Muskete, die an einem Baum lehnte.
    Es kam ihm vor, als stiege er in eine Höhle hinab; das tiefe Blauschwarz trug nur den Geruch von Kälte mit sich, und rings um ihn war nichts als Schnee. Nach ungefähr dreißig Metern blickte er zurück, aber es war nichts zu erkennen außer der Düsternis. Die Wolken über ihm, die er durch die Baumwipfel erspähte, gingen nur ein bis zwei Schattierungen ins Graue. Ihn überraschte die Angst in seiner Brust. Er blieb stehen, wischte
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