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Aquila

Aquila

Titel: Aquila
Autoren: Thomas Gifford
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dem Schatten traten und sich ihm in den Weg stellten.
    »Soldat«, sagte einer der beiden, ein Kamerad, den er am Tag neben sich bemerkt hatte. »Soldat, bleib stehen!«, befahl der Mann leise und nachdrücklich. Der zweite Mann trat zu ihm. Er 20
    hielt etwas Flatterndes in der ausgestreckten Hand.
    »Was?«, sagte William Davis. »Ich muss zur Latrine –«
    »Sag uns, Soldat: Ist das deins?« Der zweite Mann hielt ihm den abgerissenen Fetzen eines schweren Stoffes hin. Der Messingknopf blitzte im Licht einer Fackel auf der anderen Seite des Durchgangs. »Sieh richtig hin, Soldat …«
    »Es ist meins – ich habe mir den Mantel zerrissen …« Er hatte Mühe, seine Augen auf einen Punkt zu konzentrieren. Es ekelte ihn an, doch er glaubte zu wissen, was in seinem Körper vorging: das Fieber, die Unfähigkeit zu essen, ein halbes Dutzend Mal am Tag zur Latrine. Was der zerrissene Mantel für ihn bedeutete, entging ihm, bis es zu spät war. Er spürte die Hand, die seinen Arm fest wie ein Schraubstock umklammerte, und konnte keinen Widerstand leisten, als er ins Dunkel gezerrt wurde.
    William Davis’ Leiche wurde erst im Frühjahr gefunden, als in den tiefen Wäldern der Schnee schmolz. Im Grunde interessierte es keinen; zu viele Männer waren gestorben. Niemand entdeckte je die Stichwunden in dem aufgedunsenen, unförmigen Leichnam.
    Nur die Offiziere, die in jenem Winter in Farmhäusern aus Stein das Kommando führten, kannten die Wahrheit. Sie wussten, dass William Davis ein überführter Verräter gewesen war, dass er sich mit britischen Spionen im Wald getroffen hatte und dass ihn ein Stück Stoff überführt hatte, das bei seiner Flucht vom Ort des Verrats hängen geblieben war. Nur die kommandierenden Offiziere wussten, dass man seine rasche Exekution angeordnet hatte, um die Moral der Truppe nicht zu untergraben, was vielleicht zu ihrer endgültigen Auflösung geführt hätte.
    Und ein Offizier – nur ein einziger – kannte die echte Wahrheit, die mit den gräulichen Überresten des jungen William Davis für immer begraben bliebe.
    21

    Bukarest
    Dezember 1975

    22
    Nat Underhill hatte nie ernsthaft damit gerechnet, Bukarest wiederzusehen, nicht nach fünfzig Jahren. Aber nun ging er hart auf die Achtzig zu, und er war hier, und die alte Stadt lag unter seinem Hotelfenster, von trockenem Schnee bestäubt, der wie ein Rauchschleier im Grau des späten Nachmittags wehte. Nein, er konnte es noch immer nicht fassen, dass er das noch erlebte.
    Er steckte seine alte schwarze Pfeife an, mit der Louisburg-Square-Mischung, wie er sie seit Jahren rauchte, und seufzte abgrundtief vor Erleichterung und Zufriedenheit. Er ließ seine Hosenträger schnalzen und die Gedanken in die Vergangenheit driften, weit hinaus über sein Spiegelbild in der verschmierten Fensterscheibe. Wie eine Jalousie, die man mit einem Ruck herabzog, um die Intimsphäre zu sichern, brach plötzlich die Nacht herein. Es hätte noch die Stadt von vor fünfzig Jahren sein können. Zu jener Zeit war er Student gewesen. Er hatte die Geschichte von Siebenbürgen erforscht und sich in die Stadt Bukarest verliebt, in das nächtliche Leben der Cafes, die Mahlzeiten um Mitternacht, das beinahe spanische Flair der Stadt, dem jedoch die unterschwellige Grausamkeit fehlte, die er in Spanien empfunden hatte. Aber eigentlich faszinierte ihn nicht nur die Stadt, sondern auch ein bezauberndes rumänisches Mädchen aus wohlhabender und entfernt aristokratischer Familie. Der Krieg und die Russen hatten sie ausgelöscht wie unwichtige Zeichen auf einer Wandtafel, und Nat Underhill blieb zurück mit gebrochenem Herzen und einer
    unbefriedigenden Lebenserfahrung, die ihm zu jener Zeit sehr wichtig erschien.
    Aber der Krieg hatte die Gedanken an das Mädchen verdrängt.
    Er war in London stationiert gewesen, wohin es auch viele andere Rumänen verschlagen hatte. Sie schworen, Kontakt zu pflegen, wenn alles vorbei war, wenn die Welt frei war, wie Vera Lynn sang. Natürlich kam es nicht dazu. Die Geschichte hatte es mit den Rumänen nie gut gemeint, und in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war das auch nicht anders. Boston und 23
    Bukarest schienen auf verschiedenen Planeten zu liegen.
    Mit der Zeit änderte sich das. Im Laufe seiner historischen Forschungen hatte Nat die Welt der Bücher und Briefe, der Zeitschriften, Dokumente und Tagebücher entdeckt. Es ging ihm nicht so sehr ums Lesen – obwohl er das auch tat –, sondern ums Kaufen, Verkaufen und Sammeln. Der
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