Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Apocalyptica

Apocalyptica

Titel: Apocalyptica
Autoren: Oliver Graute
Vom Netzwerk:
in ihrem Blick las er die unausgesprochene Antwort. Doch, wir hätten vieles ahnen und vieles anders machen können.
    Der Engel war sich nicht sicher, ob die Em recht hatte, aber er verstand ihre Verbitterung. „Gut, dass es wenigstens ein paar wie dich gibt, Midael“, rang sich die Frau schließlich doch noch ein paar Worte ab, doch der Samaelit konnte angesichts ihrer Lage keinen Stolz ob dieses offensichtlichen Lobes empfinden.
    Endlich hatten sie das Epizentrum der Schlacht erreicht. Die Schanzanlagen der Angeliten waren unter den hin- und herschwirrenden Schwärmen der Traumsaat kaum auszumachen. Dichter Rauch und Pulverdampf erschwerten die Sicht zusätzlich. Nur drei Flugplattformen schienen die Schlacht bislang weitgehend unbeschadet überstanden zu haben. Der brennende Rumpf eines der riesenhaften Konstrukte stak noch senkrecht vor der Küste im sandigen Meeresboden. Das Wasser hatte einen seltsam rotbraunen Ton mit schwarzen Schlieren angenommen und verlieh der Szenerie etwas Abstraktes und Unwirkliches.
    Midael suchte in dem Chaos nach einer Person, die das Kommando hatte, konnte jedoch in dem dichten Gewimmel niemanden ausmachen. Die heilige Michaelis-Lanze war nirgends zu sehen. Der Samaelit schloss die Augen, um sich zu konzentrieren und seinen Geist auf die Reise zu schicken. Sein Ruf galt seinen Schwestern und Brüdern.
    Unterdessen gab das Oberhaupt der Gabrieliten den Befehl zum Angriff. Wie ein Schwarm Raubvögel ließen sich die schwarzgekleideten Engel aus der Luft fallen und beschrieben im Sturzflug einen weiten Bogen. Kurz bevor sie den Feind erreichten, zündeten sie die Flammen ihrer Schwerter. Wie ein feuerspeiender Drache traf die Phalanx der Gabrieliten auf den Feind.
    Auch in die gabrielitischen Truppen an Deck der Flugplattform kam Bewegung. Zuvor bereitgestelltes schweres Kriegsgerät wurde in Anschlag gebracht und sandte Feuer und Vernichtung in Richtung des Feindes, der sofort reagierte und sich dem schwebenden Gefährt zuwandte.
    Midael hatte Mühe, das Chaos in seinem Kopf zu ordnen. Hunderte von Eindrücken und Stimmfetzen drangen auf ihn ein. Seine Geschwister starben. Der Samaelit durchlitt furchtbare Qualen, da er jeden Tod mitfühlen konnte. Dann endlich, inmitten des Sturms, fand er, wonach er gesucht hatte.

    Die Woge aus Finsternis kam nicht nur für Lâle wie ein Platzregen: jäh, unerwartet und verheerend. Es war, als entstünde ein Riss in der Wirklichkeit, und die Landschaft unter ihnen straffte sich wie ein Teppich, den man glattzog, um alles für ein bevorstehendes Fest herzurichten. Entfernung, Raum und Zeit wurden nebensächlich. Über die Ebene strich ein heißkalter Wind. In seinem Gefolge kam die Brut. Ein tiefes, sonores Rauschen, erzeugt von Myriaden kleiner Flügelpaare, die sich um die wenige Luft stritten, die sie benötigten, um ihrem Meister folgen zu können.
    Lâle schämte sich nicht, als sie spürte, wie etwas feucht an ihren Beinen hinunterrann. Sie befand sich im Zentrum eines Sturms von welterschütternden Ausmaßen. Schawâ drückte sich an ihre Mutter. Ihr ganzer Körper zitterte vor Ermattung und Furcht. Der Wanderer und seine Gefährten hatten sich schützend vor der völlig verstörten Frau aufgebaut. Der Wind schien sie nicht zu berühren, weder ihr Haar noch ihre Kleidung bewegten sich in dem unnatürlichen Sog.
    In das Chaos trat ein Knabe. Seine Haut war über und über mit den arkanen Symbolen der Engel der Angelitischen Kirche bedeckt. Aus den Poren seiner Haut schlüpften ständig kleine Fliegen, die bald darauf aufstiegen, um ihren Meister zu umschwirren. Aus der linken Schulter des Jünglings ragte der groteske Leib eines Kleinkindes, welk und runzlig wie altes Obst. Sein Mund glich einem zahnlosen Schlund, der zu einem stillen Schrei geformt zu sein schien. Ohne den abscheulichen Auswuchs hätte man den Jüngling schön nennen müssen. Sein Körper war ebenmäßig, muskulös und wohlgeformt, sein Gesicht makellos und majestätisch. Nur der fiebrige Glanz in seinen schwarzen Augen störte das Bild.
    Lâle versuchte, die Fassung wiederzuerlangen. Überdeutlich nahm sie sich selbst wahr. Sie roch den scharfen Uringeruch und den kalten Angstschweiß auf ihrer Haut, spürte jedes einzelne Körperhaar, das sich aufgestellt hatte und versuchte, die Umgebung wie eine Antenne aufzunehmen. Sie sah das unerreichbar ferne Schlachtfeld bei Cordova, als blicke sie durch ein Fernglas, die feinen Wassertropfen in ihrem Atem, das wahre Wesen ihrer
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher