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Apocalyptica

Apocalyptica

Titel: Apocalyptica
Autoren: Oliver Graute
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Umgebung zurück, wobei sie keinerlei Rücksicht auf die vier Gestalten nahm, die ihrer Mutter gegenübersaßen.
    Als der Wanderer mit seinen Ausführungen am Ende angelangt war, herrschte lange Zeit Stille in der kleinen Kammer, die Lâle mit ihrer Tochter teilte. Nur der gelegentliche leise Singsang Schawâs, die ins Spiel mit einigen tönernen Puppen vertieft war, durchdrang die dröhnende Stille, die sich wie eine Glocke über alles gelegt hatte. Die Zeit schien sich zu dehnen wie eine zähe Masse. Lâle spürte den Drang fortzulaufen. Ihr ganzer Körper schrie danach, das Gehörte zu verdrängen, und abwechselnd überliefen sie warme und kalte Schauer. Sie nahm eine seltsame Leere in ihrem Geist wahr, die sie nicht klar denken ließ und die Urinstinkte in ihr weckte. Flucht. Zitternd erhob sie sich. Die Blicke ihrer Besucher folgten aufmerksam jeder ihrer Bewegungen, und sie konnte nicht erkennen, ob es Mitleid oder Vorsicht war, was sich in den Augen der vier widerspiegelte. Lâle streckte die Hand nach ihrer Tochter aus und formte mit ihren Lippen eine Aufforderung an sie, doch ihre Stimme war nur ein Windhauch in dem Orkan, der sie umgab. In ihren Ohren rauschte das Blut so laut, dass es alle anderen Geräusche übertönte. Die Welt begann sich um Lâle zu drehen, immer schneller, bis alles um sie herum zu einem Schleier grellbunter Farben verschmolz. Dann folgte Schwärze. Gnädige, sanfte, kindliche Leere.

    „Wach auf, wach auf!“ Naphal hatte schon befürchtet, seine Mutter würde sich nie rühren. Sie hatte die vergangenen Tage nur wenig geschlafen, stets die Köpfe mit anderen Erwachsenen zusammengesteckt und nur wenig Zeit für ihn gehabt. Doch Naphal war nicht bereit, das Verhalten seiner Mutter ohne Weiteres hinzunehmen. Seit sie in die unterirdischen Gewölbe Cordovas geflohen waren, vermisste Naphal die Welt droben. Er ertrug es nicht, eingesperrt zu sein. Er hatte es noch nie leiden können, für längere Zeit an einem Ort festzusitzen. Er liebte seine Freiheit über alles, und die Umstände, unter denen seine Mutter ihn hier unten festzuhalten versuchte, weckten die rebellische Seite in ihm. Er war bereit, dem unterirdischen Gefängnis zu entfliehen und alle Konsequenzen außer Acht zu lassen. Seit Tagen bestürmte er seine Mutter und alle um ihn herum mit der bohrenden Frage, wann er wieder an die Oberfläche dürfe, erntete jedoch die immer gleiche nichtssagende Antwort – bald.
    Entsprechend barsch fiel die Reaktion seiner Mutter Isabella aus, als sie derart unsanft aus ihrem Schlaf gerissen wurde. „Naphal! Verschwinde und lass mich schlafen. Ich habe einen anstrengenden Tag vor mir und brauche etwas Erholung. Geh zu Kemena oder Nestor und lass dir was zu essen machen, und wage es nicht, mich noch einmal zu stören.“ Mit diesen Worten drehte sich Isabella von ihrem Sohn weg und zog demonstrativ die schwere Decke über ihren Kopf.
    Trotzig schob Naphal die Unterlippe vor. Er hatte fast mit einer derartigen Reaktion gerechnet, weswegen er sich auch vollkommen im Recht sah, nun alle nötigen Schritte einzuleiten, den Aufstieg allein anzutreten. Von Nestor war in dieser Sache wohl keinerlei Unterstützung zu erwarten, und Kemena war schwach und weinerlich. Sie war ihm sicherlich keine Hilfe und würde bestenfalls versuchen, ihn mit lächerlichen Kinderspielen von seinem Vorhaben abzubringen.
    Naphal machte auf dem Absatz kehrt und verließ überlaut das Schlafgemach seiner Mutter, um sich umgehend an die Vorbereitungen für seine Flucht zu machen.
    Zu dieser frühen Morgenstunde waren die Gänge und Hallen in Cordovas Untergrund verhältnismäßig leer und ruhig. Naphal kannte sich dort unten gut aus, und er wusste, wie man Ärger aus dem Weg ging. Sicherlich hatte seine Mutter dafür gesorgt, dass es nicht leicht werden würde, an die Oberfläche zu gelangen. Immerhin war dort die Traumsaat. Was auch immer das bedeutete. Soviel er erkannt hatte, handelte es sich einfach um einen ziemlich großen Schwarm Insekten, der sich am Himmel sammelte, sonst nichts. Irgendwie beunruhigte das alle außer ihm, jedenfalls war das sein Eindruck.
    Der Junge hatte sich schlicht und praktisch gekleidet. Eine weite sandfarbene Leinenhose, die an den Waden enger wurde und in braunen, festen Stiefeln steckte. Sein Obergewand bestand aus einer knielangen Tunika, die an den Seiten geschlitzt war, um mehr Bewegungsfreiheit zu gewährleisten und denselben Farbton wie seine Hose aufwies. Eine Weste aus nussbraunem
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