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Antiheld (German Edition)

Antiheld (German Edition)

Titel: Antiheld (German Edition)
Autoren: Stiff Chainey
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wird.
    Ich hole das Seil aus dem Rucksack, fessele Hände und Füße und schleife ihn in das Zimmer seiner Frau. Setze ihn auf einen Drehstuhl und fahre ihn direkt vor das Bett.
    «Hallo, Schatz, ich bin es, Bernd! », flüstere ich in ihr Ohr.
    Die alte Schnalle murmelt etwas mit geschlossenen Augen, aber mehr als unverständliche Wortfetzen kommen natürlich nicht aus ihr heraus. Dafür erwacht Hillemann, ich kann es an den gurgelnden Geräuschen, die er von sich gibt, erkennen. Ich drehe mich zu ihm, lächele, ganz wie die Vertretergesichter mit Specknacken, die im Fernsehen Werbung machen, und recke meinen Daumen in die Höhe. Als er begreift, wo wir sind, schreit er und bewegt sich so wild, dass er fast vom Stuhl fällt.
    «Wach auf, du Fotze!»
    Die Ohrfeige, die ich ihr verpasse, lässt ihren Kopf federn, eine Sehne in ihrem Hals zuckt, dann hyperventiliert die Schabracke und spuckt Blut.
    «Oh, sieh genau zu, Hillemann!», sage ich und ziehe mit einer bedeutungsschwangeren Geste die Mülltüte vom Bio-Markt aus meiner Hosentasche.
    Ja, da werden seine Augen groß! Nachdem ich ihr die voll kompostierbare Tüte über den Kopf gestülpt habe, dauert es nur einige Minuten, bis sie erstickt ist. Sie zappelt ein wenig, und dann pfffffff – ist die Luft raus, im wahrsten Sinne des Wortes. Und ich denke mir: Warum wehrt sich Hillemann nicht dagegen, warum wehrt er sich nicht gegen den Mord an seiner Frau ? Ich denke, das ist viel zu wenig Enthusiasmus! Da müsste viel mehr kommen von diesem Säulenheiligen der Liebe!

    Durch den Stoff der Vorhänge beobachte ich, wie er den Flur entlang in das Arbeitszimmer und wieder zurück geht. In dem Augenblick, in dem er vor der Treppe stehen bleibt, stürze ich mich auf ihn, so gut es geht. Ich reiße ihn mit, wir verlieren das Gleichgewicht, und stürzen die steile Treppe hinunter, sein Schädel prallt mehrmals auf die Treppenkanten.
    Und plötzlich herrscht große Ruhe. Ich atme durch, versuche mich aufzurichten, es gelingt mir nicht, Hände und Füße sind gefesselt, alles schmerzt. Andor liegt in einer Blutlache, doch er atmet noch. Ich habe keine Kraft in meinen Gliedern, dafür habe ich gute Zähne. Nach dem zweiten Biss schmecke ich Blut, und jetzt beginnt er zu zucken.
    Ich presse mein ganzes Gewicht auf ihn, beiße immer schneller und tiefer, bis sein Hals eine einzige Wunde ist, aus der das Blut herausschießt. Am Ende liegen wir beide in einer dunklen Lache. Und ich habe überlebt.

Tagebuch Nimkin

    Der Zerfall verursacht keinen Aufruhr; er beginnt ganz langsam und leise. Es sind nur seine Symptome, die uns aufschrecken lassen. Doch die Zeit der Symptome ist vorbei. Die Krankheit bahnt sich ihren Weg. Sie ist in meinem Kopf, ich spüre es.

    Nach dem gellenden Aufschrei war es das Bedürfnis, mitleiden zu können. Die Massen wollen die grausame Tat verstehen. Doch im Grunde wissen wir nichts von dem Rhythmus, der Andor so sehr verstörte. Wir wissen nichts von dem fiebrigen Wahn, dem er sich zu guter Letzt so widerstandslos fügte.
    Jetzt werden eifrig Lügen gewechselt und Theorien aufgestellt. Sie sprechen von Rache, Rache sei das natürliche Motiv . Rache für den Schulverweis, das sei nur logisch. Sie geben sich mit der kleinsten Schnittmenge, der geringsten Übereinstimmung zufrieden. So ist es.
    Die Realität duldet keine Löcher, alles muss ausgestopft werden. Selbst in unseren Schlaf stopfen sich noch die Träume. Dabei ist es immer anders. Sich Verständlichmachen ist in diesem Leben nicht möglich.

    Ich erinnere mich an die letzten beiden Sommer. Die Zeit ist uns davongerannt, und irgendwann haben wir festgestellt, dass wir uns in einer Sackgasse befinden. Dass das Leben an sich eine Sackgasse ist. Wir sind wie Charaktere aus einem Larry Clark-Film. Nicht dazu gemacht, über Bausparverträge und ein Studium nachzudenken. Nicht dazu gemacht, Verantwortung für das Leben zu übernehmen, überhaupt ein eigenes Leben zu haben. Das museale Geschwätz über Erfolg und Ziele ist an uns abgeprallt.
    Vielleicht müssen wir unser Leben in einer einzigen, von leuchtenden Farben und euphorischen Gefühlen durchdrungenen Nacht verbrennen. Alles mit einer entschlossenen Handlung beenden, zu Asche werden.
    Die Presse ist eingefallen wie ein Rudel Bluthunde auf Nahrungssuche. Heerscharen von Alleswissern. Und plötzlich hat jeder hat etwas zu sagen. Plötzlich haben dich alle gekannt. Jeder war dein Freund, ein guter Freund, einer deiner besten Freunde. Da ist keiner
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