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Anthropofiction

Anthropofiction

Titel: Anthropofiction
Autoren: Leon E.Stover und Harry Harrison
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kann er klar erkennen, was die Menschen ohne Bewußtsein tun.
    Bronislaw Malinowski, der die Tradition ethnographischer Feldforschung für die moderne Anthropologie begründet hat, macht darauf aufmerksam, daß die meisten Bürger der Nationalstaaten hinsichtlich ihrer Lebensweise nicht aufmerksamer oder artikulationsfähiger sind als die Eingeborenen der Trobriand-Inseln hinsichtlich ihrer Stammesriten.
     
    Genau wie ein einfaches Mitglied irgendeiner modernen Institution, sei es der Staat oder die Kirche oder die Armee, Mitglied von ihr und in ihr ist, aber keine Vorstellung vom Wesen des resultierenden Ganzen besitzt und noch weniger eine Erklärung ihrer Organisation liefern könnte, so wäre es nutzlos, zu versuchen, einen Eingeborenen in abstrakten soziologischen Termini zu befragen. Der Unterschied besteht darin, daß in unserer Gesellschaft jede Institution … ihre Historiker und ihre Archive und Dokumente hat, während es in einer Eingeborenengesellschaft nichts dergleichen gibt. Wenn man das erkannt hat, muß man ein Mittel finden, diese Schwierigkeit zu überwinden. Für einen Ethnographen besteht dieses Mittel darin, konkretes Tatsachenmaterial zu sammeln und allgemeine Schlüsse für sich daraus zu ziehen (Malinowski, 1922:11-12).
     
    Zum Beispiel
    wäre es bei der Erkundigung, wie sie [die Tobriander] ein Kriminaldelikt behandeln oder bestrafen, zwecklos, einem Eingeborenen eine so umfassende Frage zu stellen wie: »Wie behandelt und bestraft ihr einen Kriminellen?« (12).
     
    Der Anthropologe kann nicht erwarten, daß seine eingeborenen Informanten seine Arbeit für ihn tun. Er muß Schlüsse aus beobachtetem Verhalten ziehen. Die Eingeborenen müssen nicht das »integrale Ganze« erkennen, um Bestandteil »von ihm und in ihm« zu sein. Die Struktur des Ganzen tritt zutage, ohne daß die eingeborenen Teilnehmer sich ihrer bewußt sind. Das ist sicher das Wesentliche in Ruth Benedicts Standardwerk »Patterns of Culture« (Strukturen der Kultur) (1934). Die menschliche Gesellschaft weist immer eine innere Gliederung auf, die in sich folgerichtig ist, jede nach ihrem eigenen Motiv, doch in keiner hängt die Struktur vom Bewußtsein davon ab. Die Mitglieder einer Gesellschaft sind, wie Malinowski es treffend ausgedrückt hat, zu sehr in »die wirklichen Imponderabilien des wirklichen Lebens« (18) verwickelt, als daß sie über die Struktur nachdenken könnten, geschweige denn, sie dem Anthropologen auseinanderzusetzen. Edward T. Hall schreibt:
     
    Die Kultur verbirgt viel mehr als sie enthüllt, und, sonderbar genug: das, was sie verbirgt, verbirgt sie am wirksamsten vor ihren eigenen Teilhabern (Hall, 1961:39).
     
    Tatsächlich erfordern viele der Verhaltensmuster, die kulturelles Verhalten ausmachen, wenn sie funktionieren sollen, die Unkenntnis ihrer selbst. Wenn eine Stenotypistin aufhört zu schreiben und überlegt, wie ihre Finger tippen, behindert sie damit das Tippen. Die Bewußtheit, die in den Lernprozeß des Tippens eingegangen ist, wieder zu beschwören, bedeutet, die Kunstfertigkeit zu ruinieren, und zwar gerade deshalb, weil die Kunstfertigkeit vom Vergessen des Lernprozesses abhängt. Genauso ist es mit vielen unserer Lebensgewohnheiten. Wie Hall sagt, ist es
    die Abwesenheit der Bewußtheit, [die] einen hohen Grad der Strukturierung ermöglicht. Ein Augenblick Überlegung wird erweisen, daß beim Gehen oder Autofahren das Bewußtsein des Vorgangs in die Lage versetzt, die reibungslose Funktion zu behindern; ähnlich kann zuviel Bewußtsein des Schreib- oder Sprechvorgangs dem, was man sagen will, in die Quere kommen (Hall, 1961: 73).
     
    Es ist eines für den Anthropologen, die Vorgänge zu beschreiben, und etwas völlig anderes für den Eingeborenen selbst, zu wissen, was vorgeht.
    Kit Reed berührt in Das Warten das Geheimnis der Gewohnheit und den Schrecken der Bewußtheit. Miri am entdeckt in der Geschichte die geheimen Ängste eines jeden, der je gespürt hat, daß Anpassung an die Sitten Tyrannei der Unwissenheit ist: welche unsichtbare Hand reguliert unseren Lebenskreis? Die kleine Stadt, in die sie kommt, erscheint zunächst normal. Die Din ge sind so, wie sie sein sollten und werden nicht wahrgenommen. Allmählich kommen ungewöhnliche und unerwartete Dinge zutage. Das Empfinden für die volle Wirklichkeit ist geweckt. Unberechenbare Umstände werden bewußt. Der Teilnehmer wird zum Beobachter. Resultat: Lähmung, Entsetzen, Untätigkeit.
     
    Das Körperritual der
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