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Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme

Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme

Titel: Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme
Autoren: Harald Martenstein
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haben.
    Die Aktion »Kein Kölsch für Nazis!« beweist in meinen Augen, dass es nicht sehr viele Nazis in Köln geben kann, was ich beruhigend finde. Denn ein Wirt, der an achtzig Prozent seiner Gäste nichts mehr ausschenkt, aus politisch-moralischen Gründen, ist nach meiner Lebenserfahrung unvorstellbar. Die Nazis können außerdem jederzeit auf Weizenbier umsteigen, auch das ist ein Schwachpunkt.
    Zu Hause habe ich die Recherchen aufgenommen und herausgefunden, dass es in Köln außerdem die Aktionen »Kein Rock für Nazis!«, »Kein Punk-Rock für Nazis!« sowie »Kein Garage-Punk für Nazis!« gibt. Zu Konzerten dieser drei Stilrichtungen werden in Köln keine Nazis eingelassen. Ich gebe zu bedenken, dass auch der Aufstieg der Original-Nazis ohne die Mithilfe des Garage-Punk stattfinden konnte. Deshalb halte ich diese Maßnahme für nahezu wirkungslos.
    Allenfalls könnte man dem Rechtsradikalismus mit einer Aktion »Keine Marschmusik für Nazis« einen Schlag versetzen. Oder indem man unter der Überschrift »Kein Rock für Nazis« keine Röcke mehr an weibliche Rechtsradikale verkauft und diesen Personenkreis dadurch zum Tragen von Hosenanzügen, von Latzhosen oder gar von Hotpants nötigt. Das werden sie nicht mögen. Bin ich denn wirklich der einzige kreative Antifaschist in Deutschland?
    Der Wirt hat mir erklärt, dass die Aktion »Kein Kölsch für Nazis!« sich vor allem gegen die Gruppe »pro Köln« richte, welche gegen die angebliche Islamisierung Deutschlands und gegen Moscheen kämpft. Ich selber sehe, wie ich häufig geschrieben habe, eher die Gefahr einer schleichenden Buddhistisierung Deutschlands. Es gibt immer mehr Buddhisten, auch an den Schaltstellen. Überall in den Gärten stehen Buddhafiguren. Als Kulturschaffender bin ich zum kritischen Dialog bereit. Aber eines steht fest, wenn der Zentralrat der Buddhisten an meiner Tür klingelt, werde ich ihm, trotz der geschilderten Bedenken, keinen einzigen Tropfen Kölsch verkaufen, und wenn sie noch so betteln. Wehret den Anfängen.

Über Berlin und die Wiedervereinigung
    Nach meiner Erinnerung war es vor zwanzig Jahren so: Die Mauer fiel, die Berliner lagen sich in den Armen. Am nächsten Morgen erschien wie aus dem Nichts am Alexanderplatz ein Bautrupp und grub ein riesiges Loch.
    Die Sowjetunion zerfiel, Bulgarien wurde EU-Mitglied, Schröder kam, Schröder ging. Ich bekam graue Haare. Aber das Loch ist geblieben.
    Es wandert, wie eine Düne. Mal graben sie hier, mal graben sie dort. Manchmal schütten sie etwas zu. Manchmal graben sie so eine Art Kanäle, wie es sie auf dem Mars gibt. Überall auf dem Platz stehen gestreifte Baken, sie werden täglich umgestellt. Manchmal passiert an dem Loch monatelang nichts, außer dass jeden Morgen für eine halbe Stunde zwei Arbeiter erscheinen und die Baken umstellen.
    Jedes Mal, wenn ich mich in den letzten Jahrzehnten dem Alexanderplatz als Verkehrsteilnehmer näherte, war die Situation anders und neu.
    Ich habe mich gefragt: Was bauen die da? Ich dachte, es wird so etwas Ähnliches wie die Pyramiden von Gizeh, an denen ist auch lange gebaut worden.
    Es ist aber eine Tiefgarage. Deutschland wird wiedervereinigt, und sofort gräbt Deutschland auf dem wichtigsten Platz seiner wichtigsten Stadt ein gewaltiges Loch, um dort die teuerste, aufwendigste und atemberaubendste Tiefgarage der Menschheitsgeschichte mit der längsten Bauzeit seit den Tagen des sagenumwobenen Kaisers Nebukadnezar zu implantieren. Wir sind ein Autoland.
    Bald wird das Loch genauso lange da sein, wie die Mauer da gewesen ist. Es ist so tief wie die deutsche Seele, so schwarz wie die dunkelsten Momente unserer Geschichte. Immer wenn wir Berliner es sehen, müssen wir an den Tag denken, an dem die Mauer fiel und an dem die Männer kamen, um das Loch zu graben. Man kann es vom Mond aus sehen. Wenn man auf dem Mond steht, muss man nur das größte und finsterste Loch suchen – dort ist Berlin, dort schlägt sein nimmermüdes Herz.
    Jeden Tag, seit mehr als zwanzig Jahren, stehen die Berliner am Alexanderplatz im Stau und werden auf diese Weise an die Mauerjahre erinnert. Das Loch im Alexanderplatz ist sozusagen unser ewiges Mauermahnmal. Es ist das größte deutsche Kunstwerk. Wenn es auf dem Felsen von Gibraltar keine Affen mehr gibt, wird Gibraltar nicht mehr britisch sein. Wenn es aber am Alexanderplatz kein Loch mehr gibt und keinen Stau, dann, so fürchte ich, wird unser Vaterland wieder geteilt werden.

Über Berlin und das
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