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Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme

Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme

Titel: Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme
Autoren: Harald Martenstein
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ungeheure Chance in der Staatsverschuldung liegt, und in der Finanzkrise der Kommunen.
    Und wenn ich sterbe, wenn der Kreis des Lebens sich schließt, wenn Deutschland unter den verdammten Schulden endlich zusammengebrochen ist und nur noch drei traurige Bankiers und fünf mit Kölnisch Wasser parfümierte Hoteliers überlebt haben, wegen der FDP, dann wird es vielleicht wenigstens keine Ampeln mehr geben, weil sie keiner mehr bezahlen kann, dann haben die Schulden doch immerhin einen Sinn gehabt.

Über Ängste
    Ich war in Südafrika und kaufte ein Einwegfeuerzeug. Die Einwegfeuerzeuge haben dort Warnaufdrucke. Ich vermute, das kommt bei uns demnächst auch. Auf dem Feuerzeug steht, in englischer Sprache: »Achtung! Enthält eine entflammbare Flüssigkeit! Flamme nicht ans Gesicht oder an die Kleidung halten!«
    Ich stelle mir einen Menschen vor, der ein Feuerzeug kauft, und zwar ausdrücklich mit den Worten »ein Feuerzeug, bitte«, denn darum kommt er nicht herum. Es gibt die Feuerzeuge in Südafrika nur hinter der Theke, man kann sie nicht einfach in den Einkaufskorb legen. Dieser Mensch verlangt also ein Feuerzeug, und danach wundert er sich, dass es eine entflammbare Flüssigkeit enthält und Feuer erzeugt.
    Ist solch ein Mensch vorstellbar? Kann ein Mensch, der nicht weiß, dass Feuerzeuge zum Feuermachen da sind, überhaupt lesen? Vielleicht. Ich will es nicht ausschließen. Was mir zu glauben schwerer fällt, ist, dass jemand ein brennendes Feuerzeug ans Gesicht hält, und zwar nicht etwa aus Masochismus, sondern deshalb, weil dieser Mensch denkt, genau dies sei der Zweck eines Feuerzeugs. Er denkt: Feuerzeuge sind dazu da, sich die Nase wegzukokeln, deswegen sind sie im Handel.
    Ich stelle mir vor, wie die Nase dieses Menschen eine schwarze Farbe annimmt, wie der Geruch nach verbranntem Fleisch sich verbreitet, bis der Feuerzeugkäufer, vor Schmerz schon beinahe bewusstlos, endlich den kleinen Aufdruck liest. Nun wird ihm, dank seiner fürsorglichen Regierung, bewusst, dass er einen Fehler gemacht hat.
    Was mich wundert, ist die Tatsache, dass man nicht davor gewarnt wird, das Feuerzeug anderen Leuten ins Auge zu werfen. Davon kann man, im ungünstigsten Fall, blind werden. Ich stelle mir einen Menschen vor, der jemandem sein Feuerzeug ins Auge wirft und der, wenn man ihn zur Rede stellt, sagt: »Auf dem Feuerzeug steht nicht drauf, dass man es nicht werfen soll.«
    Der Sicherheitsaufdruck auf Feuerzeugen ist ein schönes Sinnbild für unsere Zivilisation – für unsere Illusion, dass man alle Lebensrisiken ausschließen und alles im Griff haben könnte, für unseren Glauben an den großen Beschützer Staat, für unsere Lust an der Unmündigkeit, für unsere Angstbereitschaft, die ein evolutionäres Erbe darstellt und uns vergessen lässt, dass niemals in der Geschichte Menschen so sicher lebten, so alt wurden, so gesund und beschützt waren wie wir heutigen Mitteleuropäer.

Antifaschismus
    Neulich hielt ich mich in der lebensfrohen Stadt Köln auf. Die Zeit war knapp, aber sie reichte aus, um in einer Kölner Kneipe ein Glas Kölsch zu trinken. Als ich auf den Bierdeckel schaute, las ich dort die Parole »Kein Kölsch für Nazis!«. Der Wirt erklärte mir, dass sich mehr als hundert Kölner Ausschankstätten und etliche Kulturschaffende der Aktion angeschlossen hätten. Sie würden alle, auch die Kulturschaffenden, die das ja höchstens im Nebenberuf tun, kein Kölsch mehr an Nationalsozialisten verkaufen. Auf diese Weise bekämpfe man in Köln die Wiederkehr des braunen Ungeistes und setze ein Zeichen.
    Das hat mir nicht ganz eingeleuchtet. Ich denke mal, dass man den Nationalsozialismus wirksamer und, im Sinne von Bert Brecht, listiger bekämpfen könnte, indem man den Nazis das Kölsch gratis anbietet. Diese Bevölkerungsgruppe gilt zwar als trinkfest, aber spätestens nach dem zwanzigsten Kölsch, da bin ich mir sicher, würde von dem jeweiligen Nazi für längere Zeit keinerlei Bedrohung mehr ausgehen. Vor allem wenn man noch ein Glas Schnaps dazustellt und ihm dieses Quantum täglich verabreicht, mit den Worten: »Der Zapfhahn ist fruchtbar noch, aus dem dies kroch.« Naziführer bekommen das Doppelte. Damit wären sämtliche Naziorganisationen mit einem einzigen Schlag nicht mehr handlungsfähig. Ich möchte das Engagement der Kölner Wirte nicht pauschal herabwürdigen, aber es ist einfach ein Faktum, dass sie sich für eine eher kostengünstige Variante des Antifaschismus entschieden
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