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Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme

Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme

Titel: Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme
Autoren: Harald Martenstein
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Atomkraftwerke. Ich bin für Gemüsedöner und gegen Batteriehühner. Ich bin halt sehr deutsch.
    Gleichwohl stelle ich in mir eine wachsende Sehnsucht nach Meinungsvielfalt fest. Wozu hat man eine Demokratie? Ich würde es schön finden, wenn mal jemand auftritt und sagt: »Die in Deutschland lebenden Türken dürfen türkisch sprechen. Ununterbrochen. Ein Türke darf das.« Oder: »Ich war immer für Atomkraft. Ich bleibe dabei.« Ich würde das begrüßen, obwohl ich diese Ansicht nicht teile.
    Deutschland wird von einer Einheitspartei neuen Typs regiert, den liberalen Sozialökologen. Warum ist dies so? Weil die Parteien sich von politischen Vereinigungen in Unternehmen verwandelt haben, die um Marktanteile kämpfen. CDU , SPD , Grüne etcetera sind inzwischen das Gleiche wie Saturn und Media Markt. Sie liefern, was der Kunde haben möchte. Alle bieten die gleichen Smartphones an. Es geht nur darum, wer den günstigsten Preis und den besten Service bietet. Wenn ein Produkt vom Kunden nicht angenommen wird, nehmen sie es vom Markt. Falls morgen die Mehrheit der Deutschen zum Buddhismus konvertiert, dann benennt die CDU sich um in BDU .
    Das wäre keine Katastrophe. Was aber, wenn die Mehrheit sich irrt? Was, wenn die Mehrheit auf einem völlig falschen Trip ist? Wenn jetzt alle der Mehrheit hinterherlaufen, dann würden sie es bei anderen Gelegenheiten wohl auch tun. Es war früher beruhigend zu wissen, dass die CDU ein Faible für das Christentum hat, oder dass die Grünen für Gemeinschaftsschulen sind. In Baden-Württemberg ist die Mehrheit gegen solche Schulen. Folglich wollen die Grünen es auch nicht mehr.
    Die Parteien laufen den Meinungen hinterher, sie haben selber keine Meinung und sind deshalb im Sinne des Grundgesetzes überflüssig. Mein Vorschlag: Lasst das Land von Saturn verwalten. Macht »Geil ist geil« zur Nationalhymne. Für das gesparte Geld werden in der Nordsee Windkraftwerke gebaut.

Über Schnarchen
    Ich heiße Harald, und ich bin Schnarcher.
    Das ist immer das Schwierigste, oder? Es auszusprechen. Jetzt müsste ich mich befreit fühlen.
    Pause .
    Ich kann euch nicht viel anderes sagen, als der Jürgen gerade eben gesagt hat. Ich habe mir jahrelang eingeredet, gut, hin und wieder schnarchst du eben. Das ist normal, das passiert jedem. Ich hab es im Griff. Die anderen merken es nicht.
    Pause .
    Aber es merkt jeder. Zumindest jede Person, die näher mit mir zu tun hat. Ich versuche, genau wie der Jürgen, es zu vertuschen. Ich lerne zum Beispiel jemanden kennen. Ihr versteht, was ich meine. Also, wir sind in dieser Wohnung oder jener Wohnung, und ich sage, in den unpassendsten Momenten, ihr versteht, was ich meine …
    Die anderen lachen. Zwischenruf:
Wir sind alle volljährig, Harald!
    Okay, okay. Also ich sage, du, war schön gewesen, aber ich muss noch was im Internet recherchieren. Ich muss morgen früh einen Vortrag halten oder eine Kolumne schreiben oder was weiß ich. Dann setze ich mich wie ein Workaholic-Volldepp an den Computer und tue so, als ob ich um zwei Uhr morgens arbeite. In Wirklichkeit warte ich, bis die andere Person eingeschlafen ist. Dann lege ich mich hin. Und schnarche los. Am nächsten Tag spüre ich dann, an so kleinen Bemerkungen, an so verbalen Spitzen, für die man in meiner Situation natürlich besonders sensibel ist…
    Zustimmendes Gemurmel.
    Also, sie hat es natürlich doch gemerkt. Hätte ich es ihr vorher sagen sollen? Das geht gar nicht. Außerdem hat man ja immer die Illusion, dass es diesmal nicht passieren wird, dass es diesmal anders ist. Schon verrückt, nicht mal mit meinen besten Freunden rede ich darüber. Ich weiß auch umgekehrt von den meisten meiner Freunde nicht, ob sie schnarchen. Es ist einfach ein totales Tabuthema. Für Frauen wahrscheinlich noch mehr als für Männer. Obwohl es schon, mein Gott, obwohl es Wahnsinns-Krawall-Terrorschnarcherinnen mit mindestens zwanzigtausend Dezibel gibt, in puncto Schnarchen haben die Frauen seit Alice Schwarzer echt aufgeholt.
    Zwischenruf: Das war immer so!
    Okay, stimmt. Ich ziehe die Bemerkung zurück. Aber es gilt als unweiblich. Schnarcherinnen haben es imagemäßig noch schwerer als Schnarcher. Denkt an die Geschichte, die Lilo letzte Woche erzählt hat, von dem Typ, der sie gezwungen hat, in seiner total versifften Badewanne zu schlafen. Dahinter steckt ein überholtes Frauenbild, finde ich. Wenn du denkst, bloß weil ich ein Mann bin, muss ich kein Ohropax im Haus haben, dann hast du in den
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