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Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme

Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme

Titel: Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme
Autoren: Harald Martenstein
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lege im Grunde überhaupt keinen Wert auf den Nobelpreis. Franz Kafka, Patricia Highsmith, Cormac McCarthy, Philip Roth, alles Lieblingsautoren von mir, die haben alle den Nobelpreis nicht bekommen. Was soll ich dann damit.
    Außerdem habe ich ein Sachbuch entdeckt, von Bo Svensen, einem ehemaligen Mitglied der Jury. Er hat die Protokolle der Sitzungen ausgewertet, welche im Nobelpreiskomitee abgehalten wurden, bis 1950. Was nach 1950 passierte, ist noch geheim.
    Das Komitee wählt fünf Kandidaten aus, die Akademie bestimmt aus diesen fünf einen Sieger. Weder Joyce noch Proust, noch Rilke, noch Musil, noch Tschechow, noch Lorca, noch Brecht sind bis 1950 überhaupt von irgendjemandem für den Nobelpreis auch nur vorgeschlagen worden. Stattdessen haben Karl Gjellerup, Iwan Bunin und Henrik Pontoppidan den Preis gekriegt – ausgerechnet Pontoppidan! Paul Valéry wurde 1930 als Kandidat abgelehnt, weil er »zu pessimistisch« sei. Könnte man mir auch vorwerfen.
    1939 wurde Valéry zum zweiten Mal abgelehnt, Begründung: Er sei egozentrisch. Was ist denn das für ein Bullshit? 1943 wird er wieder vorgeschlagen. Jetzt lehnen sie ihn mit der Begründung ab, seine Gedichte würden die Menschen »nicht klüger machen«.
    In diesem Komitee saßen lauter Irre.
    In der Endrunde des Jahres 1902 sind Zola, Ibsen, Tolstoi, Gerhart Hauptmann und der Historiker Theodor Mommsen. Mommsen gewinnt – gegen Ibsen und Tolstoi, was für eine Jury ist das denn? Gerhart Hauptmann lehnen sie ab, weil in seinen Stücken zu viel getrunken wird. Zehn Jahre später bekommt er den Preis immerhin trotzdem.
    1903 wollen sie den Nobelpreis Henrik Ibsen geben. Aber Ibsen ist krank. Die Jury befürchtet, dass er vor der Preisverleihung stirbt. Also kriegt den Preis, nur weil Ibsen krank ist, ein gewisser Björnstjerne Björnson aus Taka-Tuka-Land.
    Lion Feuchtwanger haben sie im Komitee runtergeputzt, er sei nur ein von der Kritik hochgejazzter Bluffer. Karl Kraus dagegen sei regelrecht abstoßend. Stefan George sei überspannt, gut, das kann ich nachvollziehen. Hugo von Hofmannsthal komme wegen »brutaler Sinnlichkeit« nicht infrage. Was hätten diese Kretins erst über meine Kolumnen gesagt?
    Thomas Mann wird 1924 von einem Professor Schück abgelehnt, weil die Buddenbrooks angeblich schlecht geschrieben seien. 1928 liegt der Zauberberg auf dem Tisch der Jury, es heißt, das Buch sei schwerfällig und überhaupt schon wieder grottenschlecht geschrieben. Als Thomas Mann den Preis 1929 dann doch bekommt, loben sie lang und breit Manns relativ unbekanntes Buch Friedrich und die große Koalition . Es enthalte »männliche Gedanken«.
    Das sind Irre.
    1936 schlägt der Romancier Romain Rolland vor, den Nobelpreis an Sigmund Freud zu vergeben. In diesem Fall wird die Jury geradezu wütend. Freud habe eine völlig kranke Fantasie. Außerdem psychologisiere Freud zu viel. Aber Winston Churchill, ja, der kriegt 1953 den Literaturnobelpreis. Ich will mich weiß Gott nicht loben. Aber lesen Sie bitte mal Churchill, lesen Sie Björnstjerne Björnson, und dann lesen Sie mich. 1947 wird Hemingway nominiert. Im Preiskomitee sagen sie, Hemingway sei ein reicher, arroganter Ami und habe das Geld nicht nötig. Als ob Winston Churchill Kohle gebraucht hätte!
    Verstehen Sie? Ich werde den Preis ganz sicher nicht kriegen.

Über Orgasmusprobleme
    Ich habe schon wieder eine Idee für einen tollen, garantiert super verkäuflichen Titel des sterns oder auch des ZEITmagazins . Eine Freundin sagte, dass man in den Zeitschriften und in den Kolumnen der Sexualratgeber sehr oft etwas über den »vorgetäuschten Orgasmus« lese, der angeblich ein vornehmlich bei Damen verbreitetes Massenphänomen sei. Sehr oft und von der deutschen Publizistik bis heute unbemerkt, gebe es aber auch das gegenteilige Phänomen, nämlich den »vertuschten Orgasmus«.
    Ihr selber sei es erst vor einiger Zeit widerfahren, dass sie, ein dem Leben zugewandter Single, mit einem Mann, einer neuen Bekanntschaft, die ihr anfangs interessant und vielversprechend vorkam, in dessen Wohnung gegangen sei. Im Lauf des Abends sei ihr dieser Mann aus verschiedenen Gründen immer unsympathischer geworden. Sie habe aber, ebenfalls aus verschiedenen Gründen, beschlossen, nicht etwa das Weite zu suchen, sondern sich auf eine, den Umständen entsprechend wohl einmalige intime Begegnung einzulassen. Sie habe einen Orgasmus gehabt, diesen aber vertuscht, weil sie diesem geschwätzigen Angebertyp ihren Orgasmus
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