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Ansichten eines Clowns

Ansichten eines Clowns

Titel: Ansichten eines Clowns
Autoren: Heinrich Böll
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anfing). Sie hätte auch etwas anderes sagen können: »Ich habe diesen doofen Fohlenach heute wieder geschlagen«, oder etwas Französisches: »La condition du Monsieur le Comte est parfaite.«. Sie hatte mir manchmal bei den Schularbeiten geholfen und wir hatten immer darüber gelacht, daß sie in anderer Leute Schularbeiten so gut, bei den eigenen so schlecht war.
    Statt dessen hörte ich nur das Altfrauenweinen meiner Mutter, und ich fragte:
    »Wie geht's Papa?«
    »Oh«, sagte sie, »er ist alt geworden - alt und weise.«
    »Und Leo?«
    »Oh, Le, der ist fleißig, fleißig«, sagte sie, »man prophezeit ihm eine Zukunft als Theologe.«

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    »O Gott«, sagte ich, »ausgerechnet Leo eine Zukunft als Theologe.«
    »Es war ja ziemlich bitter für uns, als er übertrat«, sagte meine Mutter,
    »aber der Geist weht ja, wo er will.«
    Sie hatte ihre Stimme wieder ganz in der Gewalt, und ich war für einen
    Augenblick versucht, sie nach Schnitzler zu fragen, der immer noch bei uns zu
    Hause aus- und eingeht. Er war ein dicklicher, gepflegter Bursche, der damals
    immer vom edlen Europäertum, vom Selbstbewußtsein der Germanen
    schwärmte. Aus Neugierde hatte ich später einmal einen seiner Romane
    gelesen. »Französische Liebschaft«, langweiliger als der Titel versprach. Das
    überwältigend Originelle darin war die Tatsache, daß der Held, ein gefangener
    französischer Leutnant, blond war, und die Heldin, ein deutsches Mädchen
    von der Mosel, dunkelhaarig. Er zuckte jedesmal zusammen, wenn Henriette -
    im ganzen glaube ich zweimal — »Scheiße« sagte, und behauptete, eine
    mystische Begabung könne durchaus übereingehen mit der »zwanghaften
    Sucht, häßliche Wörter herauszuschleudern« (dabei war das bei Henriette gar
    nicht zwanghaft, und sie »schleuderte« das Wort gar nicht, sie sagte es einfach vor sich hin), und schleppte zum Beweis die fünf bändige Christliche Mystik von Görres an. In seinem Roman ging es natürlich fein zu, da »klingt die Poesie
    französischer Weinnamen wie Kristall, das Liebende aneinanderstoßen, um
    einander zu feiern«. Der Roman endet mit einer heimlichen Trauung; die aber
    brachte Schnitzler den Undank der Reichsschrifttumskammer ein, die ihm
    Schreibverbot auferlegte, etwa für zehn Monate. Die Amerikaner nahmen ihn
    mit offenen Armen als Widerstandskämpfer in den Kulturdienst, und er rennt
    heute durch Bonn und erzählt bei jeder Gelegenheit, er habe von den Nazis
    Schreibverbot gehabt. Ein solcher Heuchler braucht nicht einmal zu lügen,
    um immer richtig zu liegen. Dabei war er es, der meine Mutter zwang, uns
    zum Dienst zu schicken, mich ins Jungvolk und Henriette in den BDM. »In
    dieser Stunde, gnädige Frau, müssen wir einfach zu-
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    sammenhalten, zusammenstehen, zusammen leiden.« Ich seh ihn am Kaminfeuer
    stehen, mit einer von Vaters Zigarren in der Hand. »Gewisse Ungerechtigkeiten, deren Opfer ich geworden bin, können nicht meine klare objektive Einsicht trüben, daß der Führer« - seine Stimme bebte tatsächlich - »der Führer die Rettung schon in der Hand hat.« Gesprochen etwa eineinhalb Tage, bevor die Amerikaner Bonn
    eroberten.
    »Was macht eigentlich Schnitzler?« fragte ich meine Mutter.
    »Großartig«, sagte sie, »im Auswärtigen Amt kann man ohne ihn gar nicht mehr
    auskommen.« Sie hat das alles natürlich vergessen, erstaunlich genug, daß die
    jüdischen Yankees überhaupt bei ihr noch Erinnerungen auslösen. Ich bereute schon längst nicht mehr, daß ich mein Gespräch mit ihr so angefangen hatte.
    »Und was macht Großvater?« fragte ich.
    »Phantastisch«, sagte sie, »unverwüstlich. Feiert bald seinen neunzigsten. Es bleibt mir ein Rätsel, wie er das macht.«
    »Das ist sehr einfach«, sagte ich, »diese alten Knaben werden weder von
    Erinnerungen noch von Gewissensqualen zermürbt. Ist er zu Hause?«
    »Nein«, sagte sie, »er ist für sechs Wochen nach Ischia.«
    Wir schwiegen beide, ich war meiner Stimme immer noch nicht ganz sicher, sie
    ihrer wieder vollkommen, als sie mich fragte: »Aber der eigentliche Zweck deines Anrufs - es geht dir wieder schlecht, wie ich höre. Du hast berufliches Pech -hat man mir erzählt.«
    »So?« sagte ich, »du fürchtest wohl, ich würde Euch um Geld angehen, aber das
    brauchst du doch nicht zu fürchten, Mama. Ihr gebt mir ja doch keins. Ich werde den Rechtsweg beschreiten, ich brauche das Geld nämlich, weil ich nach Amerika
    fahren will. Dort hat mir jemand eine Chance geboten. Ein
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