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Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen

Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen

Titel: Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen
Autoren: Ingrid Schilling-Frey
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Lebensabschnitte, die Gefahren in sich bergen, an denen der Mensch auch scheitern kann. In diesen Phasen der Einsamkeit ist der Mensch völlig auf sich gestellt. Tod, Zufall, Schuld und die Unverlässlichkeit der Welt sind Situationen, die Menschen als Grenzen erfahren können. Hier handelt es sich, nicht wie bei Extremsportlern, um selbst geschaffene Grenzen, sondern um Situationen im Leben, die der Unverlässlichkeit der Welt geschuldet sind. Das Leben ist nicht vollständig planbar: Es gibt Dinge, an denen der Mensch scheitern kann.
    Wir stoßen sehr oft an Grenzen. Doch nicht nur an Grenzen aufgrund äußerer Bedingungen, sondern auch an Grenzen, die wir selbst ziehen: innere Grenzen. Ein Experiment mit Piranhas verdeutlicht, was diese inneren Grenzen sind: Der Versuchsleiter teilte mit einer Glasscheibe ein Becken mit Piranhas, als sich alle Piranhas auf einer Seite des Beckens zur Nahrungsaufnahme befanden. Als die Fische nach ihren Essen wieder losschwammen, stießen sie gegen die Glasscheibe. Immer wieder und wieder schwammen sie gegen die Glaswand an. Irgendwann gaben die Fische den Kampf gegen die Wand auf und fanden sich mit ihrem kleineren Lebensraum ab. Einige Wochen später entfernte der Versuchsleiter die Glasscheibe. Was taten die Fische jetzt? Anstatt sich über das große Becken zu freuen und die Größe des Beckens auszunutzen, schwammen sie nur bis genau dahin, wo sich vorher die Glaswand befand. Denn genau so hatten sie es gelernt.
    So ergeht es nicht nur Fischen, sondern auch Menschen. Wir Menschen erlernen im Laufe unseres Lebens viele Verhaltensweisen. Werden gewisse Verhaltensweisen immer wieder eingeübt, ergeben sich Verhaltensmuster. Diese Verhaltensmuster, egal ob gut oder schlecht, geben uns so etwas wie Sicherheit. Diese Sicherheit kann so etwas wie eine Komfortzone sein, die wir nicht verlassen möchten und die oftmals so stark konditioniert ist, dass wir sie kaum verlassen können. Jegliches Verlassen bedeutet Risiko und Überwindung.
    Auch ich hatte bis zur Geburt von Alina Verhaltensweisen eingeübt, die sich bis dahin als recht sinnvoll erwiesen. Aber von dem Tag an, an dem bei Alina der Herzfehler diagnostiziert wurde, funktionierten meine bisher erlernten Verhaltensweisen nicht mehr. Mein Sicherheitsnetz wurde nicht nur brüchig, sondern riss völlig, von einem Moment auf den anderen.
    Was vorher Sicherheit war, war jetzt Risiko – ein Risiko, das ich mir niemals ausgesucht hatte. Das Netz war weg, und ich befand mich im eiskalten Wasser. Aber eines wollte ich nicht: untergehen. Also fing ich an zu schwimmen. Und ich merkte, dass das Schwimmen half und ich immer stärker darin wurde. So lange bis ich wieder festen Boden unter den Füßen spürte. Von nun an wusste ich, was ich tun konnte, wenn ich wieder mal ins eiskalte Wasser geworfen wurde.
    Wir lernen aber nicht nur Verhaltensweisen, sondern auch, unter welchem Blickwinkel wir Dinge sehen. Stellen wir uns folgende Situation vor: Ein Mann steigt mit seinen fünf Kindern in die U-Bahn. Die Kinder sind außer Rand und Band, toben und schreien. Der Mann setzt sich ganz unbedarft auf einen freien Platz und lässt seine Kinder völlig außer Acht. Die Menschen um ihn herum sind empört. Eine Frau dreht sich um und sagt: »Sehen Sie nicht, wie ungezogen Ihre Kinder sind. Warum unternehmen Sie nichts?« Der Mann erwidert: »Oh, ja. Entschuldigen Sie. Aber die Mutter der Kinder ist vor einer Stunde im Krankenhaus verstorben.« Das verändert alles.
    Hier fällt es uns ganz leicht, den Blickwinkel zu ändern, da die Information über den Tod der Mutter nahezu bei allen Menschen dazu führt, die Situation anders als vorher zu bewerten. Wir sehen also: Es ist fast alles eine Frage des Blickwinkels. Es gibt aber auch Dinge, wie beispielsweise den Tod eines geliebten Menschen oder den Verlust des Arbeitsplatzes, die es uns fast unmöglich machen, diese Dinge anders als pessimistisch zu werten.
    Es gibt kein Leben ohne Risiko. Das ist eine Tatsache, vor der wir möglicherweise die Augen verschließen und die wir ignorieren können – so lange, bis wir gezwungen werden, uns mit einer Situation, die sich unserer Kontrolle entzieht, auseinanderzusetzen. Dann, wenn wir eine Grenzsituation als unüberwindbar und als unlösbar erleben, scheitern wir. Aber auch, wenn wir scheitern, können wir dieses Scheitern unterschiedlich bewerten und erleben. Je nachdem, wie wir eine Sache bewerten, welche Perspektive wir einnehmen, können wir
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