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Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen

Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen

Titel: Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen
Autoren: Ingrid Schilling-Frey
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seiner Dieselmotoren widmen zu können – eine Entscheidung, die den Fortschritt der Automobiltechnik entscheidend beeinflusst hat.
    Zwar sind nicht alle Menschen Erfinderpersönlichkeiten. Aber ich denke, alle Menschen haben ein Bedürfnis nach Leistung. Diese Leistung ist eine Art psychische Energie, ein Wille, in eigene Handlungen zu investieren. Nicht jeder Mensch muss dafür seinen Arbeitsplatz kündigen. Manchmal genügt es schon, Leistungsziele an die eigenen Bedürfnisse anzupassen. So hat man beispielsweise herausgefunden, dass Fließbandarbeiterinnen, die sich vornehmen, ihre Quote in der Hälfte der vorgegebenen Zeit zu erreichen, eine Befriedigung bei Zielerreichung empfinden. Diese Befriedigung stellt sich auch dann ein, wenn sie keinen Bonus dafür bekommen.
    Es geht bei der Praxis um den Menschen selbst, der sein Leben im Handeln vollzieht und damit sich selbst und sein Dasein bestätigt. Da es bei der Praxis um den Menschen selbst geht und bei der Poiesis um das, was der Mensch in der Welt herstellt, ist die Praxis wichtiger für ein glückliches Leben als die Poiesis .
    Wie Sie bereits wissen, habe ich im Alter von 40 Jahren meinen sicheren Arbeitsplatz gekündigt, um Philosophie zu studieren. Ich bin mir sicher, dass viele der Menschen in meinem Umfeld insgeheim gedacht haben: »Die ist doch verrückt!« Vielleicht war ich das sogar und bin es heute noch ein bisschen. Von außen betrachtet, hat für viele meine Entscheidung zu kündigen wohl nicht nach einer Entscheidung für ein aktives Leben ausgesehen. Doch endlich hatte das, was ich tat, etwas mit mir zu tun. Es war nicht die Muße, die mich küsste, sondern die Aktivität: Ich las, hörte zu, schrieb und war fasziniert davon, wie viel die Philosophie mit mir und meinem Leben zu tun hat. Mit jedem Wort, mit jedem Gedanken, hatte ich das Gefühl, mich selbst und mein Leben besser zu verstehen. Ich kam mir selbst näher und fühlte mich dadurch sicherer und stärker. Und eines Tages wurde mir klar, dass ich nun ohne Angst an die Zeit denken kann, in der meine Tochter so viele Operationen zu überstehen hatte. Und von da an wusste ich auch, was Aristoteles unter einem aktiven Leben verstand.
    Was Aristoteles unter Praxis verstand, wird heute oft als Flow bezeichnet.
    To flow or not to flow
    Ines Papert, vierfache Weltmeisterin im Eisklettern, schreibt in ihrem Buch Im Eis. Wie ich auf steilen Routen meinen Weg fand: »Dass mir das Klettern jemals langweilig werden wird, kann ich mir nicht vorstellen. Es gibt kaum eine Aktivität, bei der ich mich so lebendig fühle. Bin ich maximalen Schwierigkeiten gewachsen, stellt sich ein Kompetenzgefühl ein, das mich zufrieden und glücklich macht. Ich bin so involviert in mein Tun, dass ich mich in einer ganz eigenen Welt befinde. Diese intensive Welt immer wieder zu erleben, das ist, unabhängig vom Schwierigkeitsgrad, mein eigentlicher Traum.« 3
    Dieser »eigentliche Traum«, diese ganz »eigene Welt« wäre vermutlich für Aristoteles die Praxis . Der Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi bezeichnet sie als Flow : das Gefühl, völlig in einer Tätigkeit aufzugehen. Eigene Fähigkeiten werden gefordert und bestätigt, wir fühlen uns gut und glücklich.
    Für Ines Papert ist es die Faszination des gefrorenen Elements. Es können aber auch die kleineren Dinge im Leben sein, die uns »fließen« lassen. Vielleicht können wir uns das am besten vorstellen, wenn wir ans Rad fahren denken. Das erste Fahrrad, das ich bekommen habe, war ein Fahrrad mit Stützrädern. Schon das Aufsitzen auf den Sattel war mir nicht so ganz geheuer, denn es kam mir alles so wacklig vor. Dann musste ich auch noch anfangen zu treten. Aber vor lauter treten, schauen und dem Versuch, mithilfe von Stützrädern die Balance zu halten, vergaß ich ganz das Lenken. Und wäre mein Vater nicht gewesen, wären mir die Randsteine zum Verhängnis geworden. Aber von Tag zu Tag hatte ich die Chance, mich zu verbessern. Nach kurzer Zeit schon konnten die Stützräder abgeschraubt werden. Und alles lief wie von selbst! Alles andere verblasst, wenn wir uns ganz auf die Tätigkeit, die Bewegung konzentrieren – wie bei einem Kind, das zum ersten Mal alleine Fahrrad fährt. Das muss Praxis , das muss Flow sein.
    Lässt das Umfeld es zu, werden durch die Verbesserung eigener Fähigkeiten die Lebensqualität gesteigert und das Selbstbewusstsein gestärkt. Tätigkeiten, die fordern, interessieren und von der Umwelt akzeptiert und vielleicht sogar
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