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Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen

Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen

Titel: Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen
Autoren: Ingrid Schilling-Frey
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um unseren Sinn des Lebens, also darum geht, welche Richtung wir im Leben einschlagen, wählen wir eher eine Form. Aus dem historischen und kulturellen Fundus heraus denken wir über die einzelnen Formen nach, um dann diejenige Form zu wählen, die zu uns passt. Es geht dabei aber nicht nur um die reine Übernahme. Denn unsere eigentliche und herausfordernde Aufgabe besteht darin, die eigene Lebensform so zu gestalten, dass sie bestmöglich zu uns passt und unser Zusammenleben mit anderen ermöglicht.
    In Zeiten der griechischen Antike gab es nur ganz wenige Lebensformen. Aristoteles unterschied beispielsweise nur drei: bios hedone (Genuss, Lust), bios politicos (Ehre, Ruhm) und bios theoreticos (Denken, Philosophie). Da die Lebensform der Lust auf Körperlichkeit basiert und die der Ehre und des Ruhmes auf die Anerkennung von außen, sind diese beiden Lebensformen eher unbeständig und können für Aristoteles nicht ein Leben lang gültig sein. Allein die theoretische Lebensform kommt von innen und stellt damit für Aristoteles ein seelisches Gut dar, das ein Leben lang Gültigkeit besitzt und den Menschen am glücklichsten macht.
    Wie sieht das heute aus? Wenn wir heute von Lebensformen sprechen, sind das am ehesten gedankliche, individuelle Strukturen, die einen Wert im einzelnen Leben als dominant bestimmen. Deshalb besitzt jeder Mensch heute eine Mischung aus unterschiedlichen Formen. Wünschenswert ist natürlich, dass die Form, die bei uns dominant vorherrscht, die Form ist, die wir bewusst wählen und verantworten, die wir gleichzeitig aber immer wieder kritisch hinterfragen und neu für uns definieren.
    Diese Forderung stellt auch Nietzsche an die Menschen. Ihm geht es um den freien, nicht um den festgefahrenen Geist. Denn der freie Geist folgt nicht blind alten Überlieferungen, Traditionen und Gewohnheiten, sondern der freie Geist wählt ganz bewusst. Natürlich wählt auch Aristoteles’ glücklicher Mensch ganz bewusst seine Lebensform. Aber Aristoteles ist sich sicher, dass er nur dann, wenn er die denkerische Lebensart wählt, auch ein sinnvolles Leben führen kann. Anders bei Nietzsche. Für ihn gibt es die »Versuchsjahre«, in denen der Mensch Erfahrungen sammelt, in denen es keine Gewissheiten und Sicherheiten gibt. In diesen Jahren probieren Menschen aus, sind offen gegenüber allem, was anders ist, und werden so zu selbstbestimmten, reifen und freien Geistern. Auf diesem Weg darf und muss der Mensch sich verändern. Dabei geht es nicht nur darum, offen für das zu sein, was zufällig auf einen zukommt, sondern auch darum, ganz bewusst Zufälle zu provozieren: Dadurch lernt der Mensch, dass eben nicht alles planbar und die Vernunft auch nicht Herr über alle Lebenslagen ist. Es kommen Zufälle auf uns und unser Leben zu, mit denen wir nicht rechnen können. Da diese Unwägbarkeiten des Lebens sich nicht nach uns richten, müssen wir uns nach ihnen richten. Damit ist Lebenskunst für Nietzsche ein »Leben können« mit den Zufällen einer jeden Existenz. Zufälle sind nicht berechenbar. Sie sind einfach faktisch da, und wir können ihnen nicht entkommen. Leben können heißt bei Nietzsche, Zufälle und Unvorhergesehenes anzunehmen und, im besten Fall, daran zu wachsen. Denn Zufälle eröffnen uns nicht selten neue Möglichkeiten, die uns besser voranbringen als jedes im Voraus geplante Handeln.
    Für Nietzsche hat das Leben mit Kunst und mit Können zu tun. Der Lebenskünstler gibt dem Leben einen Sinn, und der Lebenskönner erfüllt diesen Sinn. Wir leben heute in einer Zeit, in der wir nicht mehr beherrscht werden von Traditionen und Konventionen. Damit gibt es keine endgültige Antwort auf die Frage nach dem Sinn. Es gibt eher zahlreiche, vielleicht sogar exotische Antworten. Diese Vielzahl von Antworten kann für uns Freiheit bedeuten. Freiheit dahingehend, dass es uns freisteht, unserem Leben selbst einen Sinn zu geben. Es kann uns aber auch passieren, dass wir der Meinung sind, in unseren Leben unseren Sinn gefunden zu haben, wir uns ganz wohl und glücklich fühlen. Doch plötzlich, wie der Zufall so spielt, werden wir mit einer völlig unerwarteten Krise konfrontiert. Als Lebenskönner nehmen wir diese Krise an. Auch wenn sie Leid verspricht, bleibt uns nichts anderes übrig. Aber wir bleiben nicht bei der bloßen Akzeptanz einer Krise stehen. Denn eine Krise annehmen heißt nicht, uns in unserem Leid zu suhlen, sondern sie als Herausforderung zu sehen. Sie kann uns eine ganz neue, uns
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