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Anruf vom Partner

Anruf vom Partner

Titel: Anruf vom Partner
Autoren: Michael Lewin
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tun würde.
    Mir wurde klar, daß ich etwas tun sollte. Ich rollte mich auf die Knie. Ich hievte mich hoch.
    Was sollte ich tun? Krankenwagen? Polizei?
    Zuerst noch mal reingehen, nahm ich an. Ich drehte mich zur Tür um. Ich holte Atem. Ich griff nach dem Türknauf. Er drehte sich in meiner Hand.
    Ich sprang zurück. Ich konnte nicht sprechen. Die Tür öffnete sich, und Charlotte Vivien stand vor mir. »Sie«, sagte sie verschlafen. »Ich hätte mir ja denken können, daß es der falsche Fuffziger sein mußte.«
     
     

62
    Wir verbrachten mehr als eine Stunde miteinander, die versammelte Belegschaft der Scum Front und ich. Ich lernte Lillian Ray und ihre Tochter Rachel kennen: den Bären und ›Kate King‹. Ich erfuhr, wie alles angefangen hatte. Ich erfuhr, daß der Name von der Frau stammte, die versuchte, Andy Warhol im Auftrag der Society to Cut Up Men, kurz scum, zu töten. Und daß sie den Namen komisch fanden. Ich erfuhr, daß sie sich gestern abend getroffen hatten, um alles zu bereden. Ich erfuhr, daß sie beschlossen hatten, das Ganze aufzugeben. Das Problem war das Wie. Sie machten mir einen Kaffee.
    Keine bösen Menschen. Eher Unschuldslämmer auf gewisse Art. Leute, die eine Versammlung besuchen und einen Sprecher fragen hören konnten: »Was tun Sie denn für die Umwelt?« Und seine Worte ernst nehmen konnten, persönlich. »Zuerst habe ich dafür gesorgt, nur noch ozonfreundliches Haarspray zu verwenden«, erzählte mir Kathryn Morgason. »Das haben wir alle getan.« 
    »Und bleifreies Benzin«, sagte Lillian Ray. »Aber es war alles so nichtig. So trivial. Welchen Sinn hatte es, wo General Motors und General Electric und die Herren Generäle im Pentagon sich nicht dieselbe Mühe gaben?«
    »Bei mir war es Seife«, sagte Charlotte Vivien.
    »Das stimmt«, sagte Lillian Ray. »Man kauft Seife aus Pflanzenöl, um die Wale zu retten, aber das andere Zeug liegt immer noch stapelweise im Supermarkt rum. Man fühlt sich dann so machtlos.«
    »Und dann«, fuhr Charlotte Vivien fort, »fängt man an, sich zu fragen, wo die eigentliche Macht in der Gesellschaft liegt.«
    »Man kann jedenfalls allein nichts erreichen«, sagte Kathryn Morgason.
    »Man muß einander finden«, sagte Lillian Ray. »Man muß die Sache durchdenken. Man muß Pläne ausarbeiten können. Allein wird man nie Macht haben, aber wenn man es richtig anfaßt, kann man die Leute mit Macht vielleicht dazu bringen, etwas zu tun.«
    Der Wendepunkt kam, als Rachel Ray eines Tages mit einer Kopie von James Bond für arme Leute von der High School nach Hause kam. Klassenkameraden hatten das Buch verkauft.
    Es ist eine Anweisung zum Bombenbasteln wie das Anarchistenkochbuch in den Sechzigern. Nur daß der Bond sogar Anweisungen für das Zusammensetzen einer Atombombe gibt.
    Die Polizei hatte dem High-School-Buchgeschäft ein Ende gemacht, aber nicht bevor ›Kate King‹ ihre Kopie hatte.
    Als ihre Mutter dann das nächste Mal von ihren Freundinnen erzählte, sagte Rachel Ray: »Ich habe was, das euch interessieren wird, Mutter.«
    Mutter hat sich den Bond angesehen. »Bomben?«
    »Ich dachte, ihr Frauen wolltet wirklich etwas tun.«
    Also trat Rachel der ›Gruppe‹ bei, und das Ende vom Lied war, daß sie tatsächlich etwas getan hatten.
    Kathryn Morgason brachte das Medienknow-how mit. Sie war vor ihrer Hochzeit mit ihrem Fernsehmagnaten Werbetexterin gewesen.
    Lillian Ray hatte die Kontakte, die sie zu einem illegalen Dynamitlieferanten führten. Sie war Assistenzprofessorin in der Abteilung für Soziologie.
    Und Charlotte Vivien hatte das Geld. Und die Antriebsenergie. Sie wollte beides auf etwas Bedeutungsvolleres verwenden als große Parties und die Unterstützung von Dichtern. Und gemeinsam hatten sie eine ganze Stadt zu Tode erschreckt.
    »Aber wir sind nie auf den Gedanken gekommen, daß jemand eine unserer Bomben stehlen und benutzen könnte«, sagte Lillian Ray.
    Es folgte ein Refrain der Zustimmung.
    »Es hat Sie auch niemand benutzt«, sagte ich.
    »Was?«
    »Warten Sie hier.«
    *
    Bobby Lee stand neben mir und sah zu, wie ich die Plastiktüte aus meinem Kofferraum holte. Als ich zu dem Zimmer zurückging, rief sie mir zu: »An der Art, wie Sie gehen, sehe ich, daß alles in Ordnung ist. Was ist in der Tüte? Mittagessen?«  
    »Treffer«, sagte ich. Aber ich blinzelte.
    Obwohl sie ihre Bombe zurückbekamen, fühlten sie sich nicht viel besser. Und das war gut so. Sie verdienten es nicht, sich besser zu fühlen. Die Atmosphäre,
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