Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Annika Bengtzon 09: Weißer Tod

Annika Bengtzon 09: Weißer Tod

Titel: Annika Bengtzon 09: Weißer Tod
Autoren: Liza Marklund
Vom Netzwerk:
umzustürzen. Annika klammerte sich an den Birkentisch, um Halt zu finden.
    »Das ist nicht wahr«, sagte sie.
    »Es gibt keine Hinweise darauf, dass andere Mitglieder der Gruppe zu Schaden gekommen sind.«
    »Das muss ein Missverständnis sein«, sagte sie. »Vielleicht haben Sie sich verhört? Sind Sie sicher, dass sie sich nicht einfach verfahren haben?«
    »Es sind mehr als vierundzwanzig Stunden vergangen. Wir können ausschließen, dass sie sich verfahren haben.«
    Sie konzentrierte sich auf ihren Atem, sie durfte nicht vergessen zu atmen.
    »Wie sind sie gestorben? Der Dolmetscher und der Bodyguard?«
    Halenius betrachtete sie ein paar Sekunden, ehe er antwortete.
    »Ihnen wurde aus nächster Nähe in den Kopf geschossen.«
    Sie stolperte zur Tür und griff nach ihrer Tasche, schleuderte sie auf den Tisch und wühlte nach ihren Handys, egal welches, aber sie fand sie nicht, sie kippte die Tasche auf dem Konferenz­tisch aus, und eine Apfelsine rollte weg und landete unter dem Overheadprojektor, da war das Redaktionshandy, sie griff mit zitternden Fingern danach und wählte Thomas’ Nummer, ver­tippte sich und musste noch einmal wählen, aber dann wurde eine Verbindung hergestellt, es knisterte und rauschte, es prasselte und knackte:
    »Hello, you have reached …«
    Sie ließ das Telefon fallen, es landete neben ihren Handschuhen und einem kleinen Notizblock auf dem Boden. Jimmy Halenius bückte sich und hob es auf.
    »Das ist nicht wahr«, sagte sie, aber sie wusste nicht, ob die anderen es hörten. Der Staatssekretär sagte etwas, sie verstand es nicht, seine Lippen bewegten sich und er griff nach ihrem Oberarm. Sie schlug seine Hand weg. Sie waren sich ein paar Mal begegnet, aber Halenius wusste überhaupt nichts über ihr Verhältnis zu Thomas.
    Anders Schyman beugte sich vor und sagte ebenfalls etwas, seine Augenlider waren geschwollen.
    »Lassen Sie mich in Ruhe«, sagte Annika viel zu laut, denn alle starrten sie an, sie raffte ihre Sachen zusammen, außer dem kleinen Notizblock auf dem Boden, den brauchte sie ohnehin nicht, da waren nur ein paar Stichworte von diesem blödsinnigen Auftrag bei IKEA drauf, und dann ging sie zur Tür, zum Ausgang, zum Fluchtweg.
    »Annika …«, sagte Jimmy Halenius und versuchte, sich ihr in den Weg zu stellen.
    Sie schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht.
    »Das ist Ihre Schuld«, sagte sie, und sie spürte, dass es die Wahrheit war.
    Und dann verließ sie den Konferenzraum Grodan.
    *
    Der Lastwagen schaukelte langsam und unregelmäßig. Straßen gab es nicht. Die Reifen rumpelten über Steine oder blieben in Schlaglöchern hängen, Gestrüpp kratzte am Unterboden entlang und Äste raschelten am Verdeck über der Ladefläche. Der Motor brüllte, die Gangschaltung schrie. Meine Zunge war ­angeschwollen und klebte am Gaumen. Wir hatten seit dem Morgen nichts mehr getrunken. Der Hunger war zu einem konstanten Schmerzgefühl geschrumpft, jetzt war mir vor allem schwindelig. Ich hoffte, dass der Geruchssinn der anderen ebenfalls nicht mehr funktionierte, oder wenigstens Catherines.
    Sébastien Magurie, der Franzose, war irgendwann verstummt. Sein nasales Lamento hatte in mir den Wunsch geweckt, dass sie ihn auch beseitigten. (Nein, nein, was rede ich da, das habe ich natürlich so nicht gemeint, auf keinen Fall, aber ich hatte schon vorher meine Schwierigkeiten mit ihm. Genug.)
    Der spanische Kollege hingegen, Alvaro, war bewundernswert. Die ganze Zeit hatte er seine kühle Besonnenheit bewahrt, nichts gesagt, sondern einfach getan, was von ihm verlangt wurde. Er lag ganz hinten auf der Ladefläche, wo es am meisten schaukelte und rumpelte, aber er beschwerte sich mit keinem Wort. Ich hoffte, dass die anderen dasselbe von mir dachten.
    Anfangs versuchte ich noch zu verfolgen, in welche Richtung sie uns fuhren. Als wir anhielten, stand die Sonne im Zenit, möglicherweise auch leicht im Westen, und zu Beginn fuhren wir in südlicher Richtung (glaube ich, und das war gut so, denn es bedeutete, dass wir uns immer noch in Kenia befanden, und Kenia ist ein funktionierendes Land, mit Straßenkarten und Infrastruktur und Handys), aber ich glaube, nach ein paar Stunden bogen sie nach Osten ab (was überhaupt nicht gut war, denn das hieß, dass wir uns irgendwo im südlichen Somalia befanden – einer Ecke, in der seit Beginn des Bürgerkriegs vor zwanzig Jah­ren das totale Chaos und Anarchie herrschen), und heute war ich beinahe sicher, dass wir erst Richtung Norden, dann
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher