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Annika Bengtzon 09: Weißer Tod

Annika Bengtzon 09: Weißer Tod

Titel: Annika Bengtzon 09: Weißer Tod
Autoren: Liza Marklund
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nach Westen fuhren, was bedeuten würde, dass wir wieder ungefähr dort waren, wo alles angefangen hat. Das war relativ unwahrscheinlich, so viel war mir klar, aber man weiß ja nie.
    Als Erstes hatten sie uns Uhren und Handys abgenommen, aber es war nun schon ziemlich lange dunkel, also mussten seit unserer Entführung rund sechsunddreißig Stunden vergangen sein. Mittlerweile hatte man sicher Alarm geschlagen. Schließ­lich waren wir eine offizielle Delegation, irgendeine Form von Hilfe sollte also unterwegs sein. Ich rechnete aus, dass es in Stockholm ungefähr sechs Uhr abends war, Kenia ist Schweden zwei Stunden voraus. Inzwischen würde Annika Bescheid wissen, bestimmt war sie jetzt mit den Kindern zu Hause.
    Catherine lag an mich gedrückt, die Wange auf meiner Brust. Sie hatte aufgehört zu schluchzen. Ich wusste, dass sie nicht schlief. Meine Hände waren hinter dem Rücken gefesselt und schon seit Stunden gefühllos. Die Männer hatten dafür diese schma­len Plastikbänder benutzt, die man durch eine Öse fädelt und dann nicht wieder zurückziehen kann. Kabelbinder nennt man die Dinger, glaube ich. Das Plastik schnitt bei der kleinsten Bewegung in die Haut und ließ sich nicht lockern. Wie wichtig war eigentlich die Blutversorgung von Händen und Füßen? Wie lange ging es ohne? Würden wir bleibende Schäden zurückbehalten?
    Dann fuhr der Lastwagen durch ein besonders tiefes Schlag­loch, und Catherine und ich stießen mit den Köpfen zusammen. Der Wagen blieb mit ziemlicher Schlagseite stehen, ich wurde gegen das weiche Fett der deutschen Regierungssekretärin ge­presst, und Catherine rutschte in meinen Schoß. Auf meiner Stirn bildete sich eine Beule, die schmerzte und hämmerte. Die Fah­rer­tür wurde geöffnet, Männergeschrei, der Wagen bekam noch mehr Schlagseite. Sie redeten und schrien, es klang, als stritten sie. Nach einer Weile (vielleicht fünf Minuten?) verstummten sie.
    Die Temperatur sank.
    Die Stille wuchs und war irgendwann umfassender als die Dunkelheit.
    Catherine begann wieder zu weinen.
    »Kommt irgendjemand an einen scharfen Gegenstand dran?«, fragte Alvaro, der Spanier.
    Natürlich. Die Plastikbänder.
    »Das hier ist vollkommen inakzeptabel«, sagte der Franzose Magurie.
    »Sucht auf der Ladefläche nach einem spitzen Stein oder einem Nagel oder nach einem Stück Metall«, sagte der Spanier.
    Ich versuchte mit den Fingern den Boden abzutasten, aber Catherine lag teilweise auf mir, die Deutsche war gegen mich gedrückt, und außerdem konnte ich meine Hände nicht mehr richtig bewegen. Im nächsten Augenblick hörten wir einen näher­kommenden Dieselmotor. Das Fahrzeug hielt neben dem LKW, und Männer stiegen aus. Ich hörte das Klappern von Me­tallteilen und wütende Rufe.
    Die Plane über der Ladefläche wurde aufgerissen.
    *
    Anders Schyman saß in seinem Aquarium und ließ den Blick über die Redaktion schweifen. Er zog es vor, die Bürolandschaft so zu nennen, auch wenn sie inzwischen das Marketing, die Auflagenanalyse und die Computerabteilung beherbergte.
    Es war ein nachrichtenarmer Tag gewesen. Keine Unruhen in der arabischen Welt, keine Erdbeben, kein Politiker oder Doku­soapstar, der sich lächerlich gemacht hatte. Sie konnten morgen nicht noch einmal das Wetterchaos als Aufmacher bringen, gestern hatten sie vor dem Wetterchaos gewarnt, heute hatten sie über das Wetterchaos berichtet, und Anders Schyman kannte seine Leser (besser gesagt, er vertraute seinen Auflagenanalysten): Morgen musste etwas anderes als der Schneesturm auf das Werbeplakat, und bis jetzt hatten sie nur eine Notlösung. Patrik, der noch immer sauer war, dass er auf das einstürzende Dach von IKEA verzichten musste, hatte auf einer amerikanischen Website einen Hinweis auf eine Frau mit dem sogenannten Alien Hand Syndrome gefunden. Die beiden Hirnhälften der sechzigjährigen Harriet waren nach einer Operation am Kopf plötzlich uneins, die eine weigerte sich, die andere bestimmen zu lassen, und das hatte zur Folge, dass gewisse Körperteile ihr nicht länger gehorchten. Die arme Harriet wurde deshalb unter anderem von ihrer rechten Hand angegriffen, als würde diese von einer außerirdischen Kraft gesteuert (daher auch die Bezeichnung der Krankheit). Manchmal schlug oder kratzte sie Harriet, verschenkte Geld oder zog ihr die Kleider aus, ohne dass die Frau ihr Einhalt gebieten konnte.
    Anders Schyman seufzte.
    Während die Redaktion versuchte, aus einem Alien Hand Syn­ drome eine Titelseite
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