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Anne Rice - Pandora

Anne Rice - Pandora

Titel: Anne Rice - Pandora
Autoren: Pandora
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Brust. Als die Kutsche hielt, sprang ich hinaus und floh förmlich zur Tür meines kleinen Hauses. Dann schaute ich zurück. Er stand auf der Straße.
    Er wirkte traurig und müde, nickte gemessen und bedeutete mir mit einer Geste seine Zustimmung. »Darf ich auf dich warten?«, fragte er. »Kann ich hoffen, dass du deine Meinung änderst? Ich werde auf ewig hier warten.«
    »Es geht nicht um meine Meinung!«, sagte ich. »Ich verlasse diese Stadt heute Nacht. Vergiss mich. Vergiss, dass du mich je gesehen hast.«
    »Du, meine Liebe«, sagte er leise und sanft. »Meine einzige Liebe.«
    Ich rannte ins Haus und schloss die Tür hinter mir. Ich hörte die Kutsche davonfahren. Dann begann ich zu rasen, wie ich es seit meinem sterblichen Leben nie mehr getan hatte, ich schlug mit den Fäusten gegen die Wän-de und versuchte, meine ungeheure Kraft zu bändigen, das Heulen und Schreien, das sich Bahn brechen wollte, in mir zu ersticken.

    Endlich fiel mein Blick auf die Uhr. Drei Stunden noch bis zum Morgengrauen. Ich setzte mich nieder und schrieb:
    Marius,
    man wird uns bei Sonnenaufgang nach Moskau bringen. Der Sarg, in dem ich ruhe, soll schon am ersten Reisetag viele Meilen zurücklegen. Marius, ich bin wie betäubt. Ich kann in Deinem Haus nicht Zuflucht suchen, unter demselben Dach wie die Uralten. Bitte, Marius, komm nach Moskau. Hilf mir, mich aus meiner Zwangs-lage zu befreien. Später kannst Du Dein Urteil fällen und mich verdammen. Ich brauche Dich. Marius, wie ein Geist werde ich durch den Palast des Zaren , durch die Kathedrale streifen, bis Du kommst. Marius, ich weiß, damit verlange ich, dass Du eine lange Reise antrittst, aber, bitte, komm. Ich bin dem Willen meines Begleiters sklavisch unterworfen.
    Ich liebe Dich,
    Pandora
    Ich rannte wieder auf die Straße, eilte in Richtung seines Hauses und versuchte, den Weg wieder zu finden, den ich mir dummerweise nicht gemerkt hatte.
    Aber was war mit dem Herzschlag? Ich würde es wieder vernehmen, dieses geisterhafte Geräusch! Ich musste einfach dran vorbeieilen, es ertragen, so lange, bis ich Marius den Brief gegeben hatte, bis er mich vielleicht am Handgelenk packte, um mich an irgendeinen sicheren Ort zu bringen und jenen asiatischen Vampir, der mich unterhielt, noch vor Morgengrauen zu vertreiben.
    Dann tauchte dieselbe Kutsche auf und brachte meinen Blut trinkenden Gefährten von dem Ball nach Hause.
    Er ließ sofort neben mir anhalten.
    Ich nahm den Kutscher beiseite. »Der Mann, der mich nach Hause brachte«, sagte ich zu ihm, »wir fuhren doch zu seinem Haus, einem großen Palais.«
    »Ja«, sagte der Fahrer, »Graf Marius, ich habe ihn soeben zu seinem Haus zurückgefahren.«
    »Du musst ihm diesen Brief bringen. Beeil dich! Du musst zu seinem Haus fahren und ihm den Brief in die Hand geben. Sag ihm, dass ich dir kein Geld geben konnte, dass er dich bezahlen soll, ich will, dass du ihm das sagst. Er wird zahlen. Sag ihm, der Brief ist von Pandora. Du musst ihn persönlich aufsuchen.«
    »Von wem sprichst du?«, wollte mein asiatischer Begleiter wissen.
    Ich bedeutete dem Kutscher, sich auf den Weg zu machen. »Los!« Natürlich war mein Gefährte außer sich.
    Doch der Wagen rollte schon davon.
    Zweihundert Jahre vergingen, ehe ich die schlichte Wahrheit erfuhr: Marius hat diesen Brief nie bekommen!
    Wieder in seinem Palais, hatte er seine Sachen gepackt und voller Kummer in der folgenden Nacht Dresden verlassen. Den Brief fand er erst viel später, wie er Lestat erzählte, »ein zerfleddertes Schriftstück«, wie er es nannte, »das auf den Boden eines unordentlich gepackten Koffers gesunken war«.
    Wann ich ihn wieder sah?
    In der heutigen Welt. Als die alte Königin sich von ihrem Thron erhob und uns die Grenzen ihrer Weisheit, ihres Willens und ihrer Macht vor Augen führte.
    Nach zweitausend Jahren, in unserem zwanzigsten Jahrhundert, das immer noch voll römischer Säulen, Statuen, Pedimente und Peristylen ist, in dem die Computer summen und die Fernsehgeräte heißlaufen, wo in jeder öffentlichen Bibliothek immer noch Ovid und Cicero stehen, wurde unsere Königin, Akasha, in dem modernsten und sichersten aller heiligen Schreine von dem Bild Lestats auf einem Fernsehschirm erweckt, und sie kämpfte darum, als Göttin zu herrschen, nicht nur über uns, sondern über die ganze Menschheit.
    In der gefährlichsten Stunde, als sie drohte, uns alle zu vernichten, wenn wir ihrer Führung nicht folgten – viele hatte sie schon niedergemetzelt –, war
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