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Anne in Avonlea

Anne in Avonlea

Titel: Anne in Avonlea
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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nachdenkliche, schüchterne junge Dame - und erzählte Anne die ganze Geschichte im dämmrigen, abgeschiedenen Ostgiebel. Beide vergossen ein paar Tränen, gaben sich einen Kuss und lachten.
    »Ich bin so glücklich«, sagte Diana, »aber dass ich verlobt bin, kommt mir direkt albern vor.«
    »Wie fühlt man sich als Verlobte?«, fragte Anne gespannt.
    »Naja, das hängt ganz davon ab, mit wem man verlobt ist«, antwortete Diana mit diesem Ausdruck von Überlegenheit, der einen verrückt machte, ein Ausdruck, wie ihn die, die verlobt sind, denjenigen gegenüber, die nicht verlobt sind, nun mal an den Tag legen. »Mit Fred verlobt zu sein, ist einfach wundervoll - mit jemand anders verlobt zu sein, muss die wahre Hölle sein.«
    »Das ist für alle Übrigen nur ein schwacher Trost, schließlich gibt es nur einen Fred«, lachte Anne.
    »Oh, Anne, du hast mich nicht verstanden«, sagte Diana verärgert. »So habe ich es nicht gemeint. Es ist schwer zu erklären. Mach dir nichts daraus, irgendwann, wenn es dir selbst so ergeht, wirst du es verstehen.«
    »Ach, herzallerliebste Diana, ich verstehe es schon. Wozu hat man Phantasie, wenn nicht dazu, um mit den Augen anderer die Welt zu sehen?«
    »Du musst meine Brautjungfer sein, Anne. Versprich es mir, egal wo du dich auch gerade aufhältst.«
    »Ich würde auch vom anderen Ende der Welt anreisen«, versprach Anne feierlich.
    »Es ist natürlich noch längst nicht soweit«, sagte Diana und wurde rot. »Frühestens in drei Jahren. Ich bin erst achtzehn. Meine Mutter will nicht, dass eine von uns vor einundzwanzig heiratet. Außerdem will Freds Vater Abraham Fletchers Farm für ihn kaufen und Fred muss zwei Drittel abbezahlen, ehe sein Vater sie auf ihn überschreibt. Außerdem sind drei Jahre auch nicht gerade mehr viel Zeit, um sich um die Aussteuer zu kümmern. Ich habe bislang noch nicht ein einziges Deckchen gehäkelt. Aber gleich morgen fange ich damit an. Myra Gillis hatte siebenunddreißig Deckchen, als sie heiratete. So viel will ich auch.«
    »Mit nur sechsunddreißig Deckchen kann man ausgeschlossen einen Haushalt fuhren«, stimmte Anne ernst, aber mit blitzenden Augen zu. Diana war gekränkt.
    »Das hätte ich nicht von dir gedacht, dass du dich über mich lustig machst, Anne«, sagte sie vorwurfsvoll.
    »Meine Liebe, ich habe mich nicht lustig gemacht«, rief Anne bedauernd. »Ich wollte dich nur ein bisschen necken. Aus dir wird bestimmt die beste Hausfrau der Welt. Ich finde es wundervoll, dass du schon jetzt Pläne schmiedest für dein trautes Heim.«
    Anne hatte noch nie den Ausdruck »trautes Heim« gebraucht. Schon stellte sie es sich vor und begann sich ihr eigenes trautes Heim auszumalen. Natürlich wohnte darin ihr Traummann, ein dunkler Typ, stolz und melancholisch. Seltsamerweise trieb sich auch Gilbert darin herum, half ihr beim Bilderaufhängen, legte den Garten an und erledigte tausend andere Sachen, die der stolze melancholische Traummann offensichtlich für unter seiner Würde hielt. Anne versuchte Gilbert aus ihrem Schloss in Spanien zu verbannen, aber irgendwie ließ er sich nicht verscheuchen, sodass Anne es aufgab und weiter an ihrem Luftschloss baute, bis ihr »trautes Heim« fertig eingerichtet war und Diana wieder etwas sagte.
    »Du findest es bestimmt komisch, Anne, dass Fred mir gut gefällt, wo der doch so ganz anders aussieht als mein Traummann, so ein großer schlanker Typ. Aber irgendwie würde mir Fred groß und schlank nicht gefallen - weil er, verstehst du doch, dann nicht Fred wäre. Sicher«, fügte Diana ziemlich traurig hinzu, »wir geben ein etwas klein geratenes Paar ab. Aber das sieht immer noch besser aus als wenn einer von uns beiden klein und dick und der andere groß und dürr wäre, wie Mr Morgan Sloane und seine Frau. Mrs Lynde sagt, sie würde sich jedes Mal fragen, wenn sie sie zusammen sieht, ob sie überhaupt zusammenpassen.«
    »Tja«, sagte Anne zu sich, als sie sich am Abend vor dem gold gefassten Spiegel die Haare kämmte, »es freut mich, dass Diana glücklich und zufrieden ist. Aber wenn es mir passiert - falls es mir passiert dann hoffe ich, dass es etwas aufregender ist. Aber Diana hat das auch mal gedacht. Ich höre sie noch, wie sie sagte, sie würde sich nicht auf eine so langweilige, gewöhnliche Art verloben - er müsste sich schon etwas Tolles einfallen lassen, um sie für sich zu gewinnen. Sie hat sich verändert. Vielleicht verändere ich mich auch. Aber nein . . . nein, ich nicht. So eine
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