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Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Titel: Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See
Autoren: George Neblin
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kaum begreiflichen Weise die Beschränkungen und das Leid des Menschen wie eigenes Leid, nimmt wissend teil am menschlichen Leben. Diese in den Mythos von Jesus, dem Christus, gekleidete Botschaft bestätigt die Überlegung, dass der Herr ohnehin als Erstursache allen Seins alles Geschaffene fortdauernd verursacht und darum weiß.
    Ich glaube nicht, dass der Kreuzestod einen notwendigen metaphysischen Erlösungsakt darstellt. Gott kann den Menschen aus freier Barmherzigkeit annehmen – dass Gott aufhören kann, zu existieren, was einen Tod nach alltäglichem Vorurteil erst ausmacht, ist dagegen etwas, das ich seiner Allmacht nicht zutraue. Wenn er es täte, würden auch wir vergehen, denn er würde aufhören, uns in der Existenz zu erhalten. Wenn er lediglich aus dem irdischen Dasein treten würde, worin läge dann die Bedeutung des göttlichen Todes? Der historische Kreuzestod Jesu zeigt viel mehr, dass der Herr selbst einem geliebten Sohn den irdischen Schmerz nicht erspart. Der Mythos vom göttlichen Erlösungstod wiederum verweist darauf, dass Gott selbst unser Leid trägt. Er ist kein in sich verschlossener Gott oder ein selbstsüchtiger Herrscher in den Himmeln, kein Naturgott, kein Sonnengott: Gott ist der gütige himmlische Vater. Ich könnte selbstverständlich ebenso gut sagen, die himmlische Mutter – die Vaterschaft Gottes meint ja kein menschliches Geschlecht. Sie ist Symbol, Metapher.
    Aber damit nicht genug: Jesus von Nazareth ist nach der Überlieferung nicht einfach gestorben, Ethan. Er hat den Tod überwunden. Er ist auferstanden von den Toten. Ich glaube nicht, dass wir uns das nun so vorstellen müssen, dass die menschliche Natur Jesu historisch auf Erden wieder hergestellt wurde, sondern sehe die historische Auferstehung als Übergang der menschlichen Natur Jesu in eine jenseitige Welt, Gottes jenseitiges Reich, die in den Schriften literarisch in Auferstehung und Himmelfahrt aufgespalten wurde, weil die Zeugen der Auferstehung tatsächlich Visionen und Auditionen im Glauben erlebt haben bzw. die Autoren bereits die historische Person Jesus zu verklären begannen. Die mythologische Botschaft bleibt gleichermaßen gewaltig: Der Tod hat keinen Schrecken. Der Mensch darf hoffen auf ein fortdauerndes Leben bei Gott.“
    „Und was ist mit dem Tier, das angeschossen verblutet? Ist auch sein Schmerz der Preis der eigenen Existenz, deren Schöpfung noch nicht abgeschlossen ist?“
    „Ein Schuss impliziert schon einen menschlichen Jäger. Wo der Mensch Leid verursacht, lässt sich dieses Leid möglicherweise auf einen sogenannten Freien-Willen zurückführen. Doch soweit der Jäger ein Tier ist, das instinktgesteuert ist? ‘ Who trusted God was love indeed, And love Creation's final law, Tho' Nature, red in tooth and claw, With ravine, shriek'd against his creed [14] ’– wie Tennyson formuliert?
    Der Herr hat in dieser Welt den Jäger geschaffen und seine Beute. Beide nehmen Teil an der umfassenden Ordnung der Schöpfung. Das Töten des Jägers und das Leid der Beute gehören in dieser Welt dazu. Wir fordern allein, dass es nicht mutwillig und unnötig geschieht, soweit der Jäger die Freiheit zur Entscheidung hat. Wo wir Leid verursachen, müssen wir uns fragen, ob der Zweck, den wir verfolgen, dieses Leid wert ist, wenn und soweit wir die Wahl haben – wir müssen versuchen, die gierige Eigensucht zu zähmen, ohne die wertschätzende Selbstliebe abzulegen. Oder anders gewendet: Wir müssen uns fragen, ob wir nicht lieber Freude und Gutes verursachen wollen und können – wobei unser begrenzter Verstand und selbst unser Herz uns nicht immer zweifelsfrei erkennen lassen, was in einer konkreten Situation objektiv gut und richtig ist.
    Doch machen wir uns nichts vor: Ohne Leid zu erleben und an irgendeiner Stelle in der Welt Leid zu verursachen, wird wohl keine Kreatur durch das Leben gehen. Das Leid ist ein Teil des irdischen Daseins. Ebenso Freude, Glück und Tugendhaftigkeit, selbst wenn diese unvollkommen bleiben.
    Ich halte es aber für möglich, dass alles Lebendige dieses irdische Leben überdauert. Auch das Tier und auch die Pflanze, auch das Bakterium, vielleicht selbst der Virus. Was spricht dagegen, dass auch ihre spirituellen Formen dereinst den Herrn schauen? Der Unterschied zwischen dem Menschen und seinen Mitlebewesen ist meines Erachtens ein gradueller, kein wesentlicher. Sein Intellekt übersteigt lediglich, nach unserem Kenntnisstand, den seiner Mitgeschöpfe – wenn man die
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