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Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Titel: Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See
Autoren: George Neblin
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Möglichkeit rein spiritueller Mitgeschöpfe, die wir Engel nennen, einmal außer Betracht lässt. Seine Mitgeschöpfe haben dem Menschen dafür wiederum andere Eigenschaften voraus: Einige können fliegen, einige ihre Farbe verändern, andere unter Wasser leben. Denn warum schafft der Herr überhaupt all die Abstufungen von Leben? Allein zum Nutzen des Menschen, dessen Gattung er über Jahrtausende aus dem Tierischen entwickelt hat? Warum schafft Gott nicht nur Menschen? Warum nicht nur Engel? Wenn wir in der Heilslehre einen Unterschied zwischen dem Menschen und den anderen Lebewesen machen, müssen wir und doch fragen, wo der Mensch zum ersten Mal aus dem Tierreich hervorgetreten ist und alle seine Vorfahren dem Untergang weihen. Bei den Tieren ergibt sich wohl Entsprechendes im Verhältnis zu den Pflanzen. Doch sind Tiere und Pflanzen und Menschen real existente Kategorien? Ich denke, jedes konkrete Einzelding ist als Idee in Gottes Intellekt und wird seinem Willen entsprechend von ihm geschaffen, nur das dieser Schöpfungsprozess eine irdische Zeit dauert, während Gott unveränderlich und somit ewig und außerhalb der Zeit ist. Es ist zwar vorstellbar, dass Gott unsere menschlichen Kategorien von beseelten Wesen unterscheidet, überwiegend wahrscheinlich ist es meines Erachtens nicht. Auch die verschiedenen Offenbarungen an die Menschen lasse ich als Einwand nicht gelten: Gott offenbart sich zum einen in diesem Leben bereits nicht in gleichförmiger Weise an alle Menschen, zum anderen wissen wir nichts über das Seelenleben von Tieren und Pflanzen und, wenn unser Bewusstsein nicht identisch mit unserer Seele ist, nicht einmal hinreichend viel über unsere Seele. Ich bin daher überzeugt, dass es bei der Schöpfung der beseelten Geschöpfe um Vielfalt geht, um Individualität und Unterscheidung, um die Möglichkeit der Vielen ihrer individuellen Ausgestaltung entsprechend Gottes unendliche Herrlichkeit zu schauen.
    Wenn wir von der Liebe des himmlischen Vaters für alle seine Kinder ausgehen und den anthropozentrischen Blickwinkel verlassen, erscheinen viele Aspekte des irdischen Lebens, die unter die Kategorie natürliches Übel gefasst werden in anderem Licht. Der Tod des Beutetiers wird zum Festschmaus für den Räuber. Der Kadaver des Säugetiers nährt Maden und Bakterien. Wir schenken im irdischen Tod unseren materiellen Körper dem anderen Mitgeschöpf hin.
    Die Ordnung des Ganzen erscheint so in dem ästhetischen Licht, das große Denker veranlasst hat, Gott einem Künstler zu vergleichen, der mit Licht und Schatten Akzente setzt. Doch das Gesamtkunstwerk zeigt sich erst, wenn wir nun über das irdische Leben hinaus blicken: Die einzelnen lebendigen Pinselstriche oder Töne finden nicht das Ende, das der erste Anschein uns vermuten lässt. Der Schatten innerhalb des ersten Akts zeigt sich im zweiten Akt im strahlenden Licht. Doch wir müssen erst den zweiten Akt sehen, um das zu erleben. Vor der Pause grämt uns die Düsternis.
    Die notwendige Einbeziehung der Geschöpfe von geringerem Intellekt in Gottes Heilsplan führt übrigens auch zu einer Relativierung des Spannungsverhältnisses zwischen göttlicher Vorsehung und menschlicher Freiheit. Wenn wir die fortwährende Existenz von Geschöpfen annehmen, die nicht über unseren Intellekt verfügen und noch weniger als wir fähig zu einer autonomen Entscheidung sind, geschweige denn den ethischen Wert einer Entscheidung beurteilen können, zeigt sich die Vervollkommnung im moralischen Bereich als ein artspezifischer Zweck des irdischen Daseins neben dem generellen Zweck des Schöpfungsprozesses, eine Vielfalt von Geschöpfen hervorzubringen. Ein anderes Bild ergäbe sich freilich, wenn wir Wiedergeburten unserer nichtmenschlichen Mitgeschöpfe auf einer anderen Entwicklungsstufe annehmen müssten.
    Das irdische Leben stellt daneben gleichsam als Abfallprodukt oder Folgewirkung notwendigen Übels einen Kontrast zum jenseitigen Leben dar. Wenn ich Ihnen aber eine rote Rose auf einem ebenso roten Hintergrund male, werden Sie sich an der Rose nicht besonders erfreuen können. Nun ist Gott allmächtig, ich bin es nicht, aber ich meine, eine Anschauung gewinnt insbesondere im Kontrast zu einer anderen Anschauung oder Erfahrung an Kontur und Stärke. Selig sind die Trauernden, denn sie werden getröstet werden. Selig sind die Hungernden, denn ihr Hunger wird gestillt werden. Leiderfahrung ist nicht nur im Bereich des moralischen Übels, sondern auch im Bereich
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